1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Großer Staatsmann

Uta Thofern26. September 2006

Europa wird ärmer sein ohne Tony Blair. Mit Blair verlässt ein Staatsmann die Bühne, der bis zuletzt für seine Überzeugungen kämpfte. Er hätte einen großen Abgang verdient, meint Uta Thofern in ihrem Kommentar.

Zu sehr haben die Querelen um das Ob und Wann seines Rücktritts ihn in den letzten Wochen beschädigt, die Querschüsse aus der eigenen Partei und - natürlich - der zunehmend hasserfüllte Protest gegen seine Nahost-Politik und seine Bündnistreue zu einer von George W. Bush geführten US-Regierung.

Umjubelt wie ein Popstar

Geradezu halsstarrig ignorierte Blair seine schwindende Akzeptanz in der britischen Öffentlichkeit, missachtete die Warnsignale aus seiner Partei, die ihn schon lange nicht mehr als Zugpferd, sondern nur noch als Wahlrisiko wahrnahm. Der Mann, dem das Kunststück gelungen war, dreimal nacheinander die Wahlen für Labour zu gewinnen, erschien zunehmend realitätsblind, besessen von dem Wunsch, als Rekord-Premier in die Geschichte einzugehen.

Vergessen die Tatsache, dass dieser Tony Blair einmal als Visionär angetreten war, beseelt von der Idee einer "neuen Mitte" als Kraftzentrum einer besseren Gesellschaft. Mehr Eigenverantwortung und mehr Mitwirkung bedeute auch mehr Teilhabe an dieser Gesellschaft, das war eine seine Kernbotschaften. Umjubelt wie ein Popstar ging dieser Tony Blair daran, seine Partei vom Gewerkschaftsmief der siebziger Jahre zu befreien, das Kohlezeitalter zu beenden und Labour wieder wählbar zu machen.

Besserer Reformer

Mit Erfolg. Innenpolitisch eilte dieser Premier zunächst von Sieg zu Sieg, trotz mancher Rückschläge in der Gesundheits- und Bildungspolitik blieben Blair und seine Visionen glaubwürdig, zumal es wirtschaftlich bergauf ging. Dass die Konjunktur auch ein Ergebnis der Reformen der konservativen Vorgängerregierungen war, störte die Wähler nicht, im Gegenteil, Blair erschien schlicht als der bessere Reformer. Der Mann, der nicht zuletzt auch als engagierter Vater und Ehemann einer äußerst erfolgreichen Anwältin ein völlig neues Rollenmodell abgab, schien einfach unschlagbar.

Tony Blair stolperte über seine Außenpolitik. Ausgerechnet das Feld, auf dem Regierungschefs sonst gern innenpolitische Misserfolge ausgleichen. Im Vorfeld des Irakkriegs begab sich Blair sehenden Auges in eine Situation, in der es für ihn nichts zu gewinnen, aber alles zu verlieren gab. Der französische Präsident nährte mit seinen Alleingängen Weltmachtsphantasien und trieb seine Popularitätswerte in die Höhe, der deutsche Bundeskanzler setzte die Einigkeit im Weltsicherheitsrat für einen Wahlsieg aufs Spiel - und Tony Blair nahm sich selbst für einen guten Ausgang der Krise in die Verantwortung.

Scheitern mit Größe

Das Ende ist bekannt. Weder konnten die diplomatischen Initiativen des Briten die Einheit der Vereinten Nationen wieder herstellen und damit einen Krieg verhindern, noch konnte die britische Beteiligung am Krieg zu einem besseren Ausgang beitragen. Tony Blair befand sich von nun an politisch in amerikanischer Geiselhaft. Alle seine Visionen für den Nahen Osten, der Erfolg jeder Initiative hing von der US-Regierung ab - und Blairs Einfluss reichte nicht aus, sie zu steuern.

Dennoch blieb der Brite seiner Überzeugung treu, dass die freie Welt nur vereint dem Terror widerstehen kann. Blair widerstand der Versuchung, sich aus der Verantwortung zu stehlen und seine Bündnispolitik zu revidieren. Auch, als Großbritannien selbst zum Ziel von Anschlägen wurde. Sich dem Terror zu beugen, das war seine Sache nicht, auch wenn die Mehrheit der Briten ihm schon lange nicht mehr folgen konnte.

Tony Blair hat seine Ziele im Nahen Osten nicht erreicht und seine innenpolitischen Erfolge dadurch unterminiert. Sein Ende ist der Anfang vom Ende der Labourregierung. Er geht als ein Gescheiterter, und doch hat noch sein Scheitern Größe. Wenn er auch vergeblich für seine Überzeugungen kämpfte, er stand bis zuletzt für sie ein, und dies stets mit geschliffener Rhetorik. Seine makellose Diktion, seine unnachahmlich lässige Korrektheit - auch dafür ist weit und breit kein Ersatz in Sicht. Mit Tony Blair verlässt nicht nur seine Glaubwürdigkeit, sondern auch ein Stück Stil die europäische Politik. Ein Gentleman geht. Ich werde ihn vermissen.

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen