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Politik

Hoher Preis für das Ende der Streiks

Franca Tiebot Francis Kommentarbild App
Francis França
2. Juni 2018

Die Fernfahrer in Brasilien haben mit ihrem Streik bewiesen, welche Kraft zur demokratischen Veränderung im Land steckt. Aber die Gesellschaft muss sich entscheiden, wie sie Probleme lösen will, meint Francis Franca.

"Militär - Hilf der Nation" malten streikende LKW-Fahrer auf eine der wichtigsten Autobahnen BrasiliensBild: picture-alliance/AP/A. Penner

Dieser Streik war mehr als eine dieser kurzzeitigen, organisierten Revolten, die Brasiliens Gesellschaft immer mal wieder so überraschend wie ein Schluckauf befallen. Die vergangenen zehn Tage waren symptomatisch für die verstörende Komplexität dieses Landes.

Die LKW-Fahrer brauchten kaum vier Tage, um das Land in eine der größten Versorgungskrise seiner Geschichte zu treiben und die Regierung damit in die Knie zu zwingen. Um es mit ihren eigenen Worten zu sagen: Sie sind das Blut in Brasilien Adern.

Ein Hauch von Arabischem Frühling

Über tausende von Kilometern voneinander getrennt organisierten die "caminhoneiros" sich per WhatsApp und ein Hauch von Arabischem Frühling erfasste  das Land. Der Unterstützung der Brasilianer konnten die Fahrer sich sicher sein: Trotz der Versorgungskrise hatten sie einer Umfrage zufolge satte 87 Prozent der Bevölkerung hinter sich. Nach zehn Tagen hatten sie es geschafft: der Dieselpreis und die Straßengebühren werden gesenkt.

Francis Franca leitet die Brasilianische Redaktion

Brasilien hat einen perfekten Sturm der Demokratie erlebt: Bürger, die ihr Demonstrationsrecht und ihr Recht auf Streik wie auf freie Kommunikation wahrnehmen, breiten Rückhalt genießen und es schaffen, dass die Regierung auf ihre Forderungen eingeht - und das alles ohne Gewalt oder Repression. Beispielhaft.

Bis einige aus der Spur gerieten: Fernfahrer in ganz Brasilien traten eine Kampagne in den Sozialen Medien los und druckten Banner mit der Forderung nach einer Militärintervention. Sie missbrauchten ihr Recht auf Meinungsfreiheit, um antidemokratische Maßnahmen zu fordern - im Grunde genommen wollen sie eine Rückkehr zur Diktatur.

Falsche Sehnsucht nach Rettern des Vaterlandes

Dass die Militärs selbst diese Appelle zurückwiesen und ihre Loyalität zur Verfassung bekräftigten, ist keine Selbstverständlichkeit. Es gibt immer noch zu wenige Brasilianer, die verstehen, dass es keinen Retter des Vaterlandes gibt oder geben wird. Die einzige Möglichkeit "Ordnung zu schaffen", wie es in den verirrten Appellen hieß, ist, sich politisch zu engagieren. Und zwar vor, während und nach Wahlen. Außerdem wählen zu gehen, um die Politiker an ihre Verantwortung zu erinnern und dafür in Haftung zu nehmen.

Die Schattenseite der jüngsten demokratischen Bewegung zeigte sich in Supermärkten und an Tankstellen, die die Situation ausnutzen und Fantasiepreise für die knapp gewordenen Güter verlangten. Und bei Kunden, die ohne Rücksicht auf andere Hamsterkäufe tätigten.

Der Grundwiderspruch Brasiliens wird an zwei Zahlen deutlich: Von den 87 Prozent der Bevölkerung, die die Fernfahrerproteste unterstützten, sagten ebenfalls 87 Prozent, dass sie den Preis von umgerechnet drei Milliarden Euro für die Erfüllung der Forderungen der caminheiros nicht bezahlen wollen. Trotzdem muss das Geld in dem krisengeschüttelten Land mit einem vorausgesagten Haushaltsdefizit von 35 Milliarden Euro ja irgendwoher kommen.

Ausgerechnet die Schwächsten müssen jetzt bezahlen

Die Regierung will nun ausgerechnet da kürzen, wo es am meisten weh tut: bei der Grundversorgung im Gesundheitssystem, bei der Prävention von Gewalt gegen Frauen, bei der Ausweisung indigener Gebiete, bei der Innovation. Doch als verkündet wurde, dass ausgerechnet die Schwächsten die Rechnung bezahlen müssen, da zuckte der Rest nur mit den Schultern.

Die vergangenen Wochen haben gezeigt, dass die brasilianische Demokratie die Kraft hat, das Land zu verändern. Die Gesellschaft muss es nur wollen. Bis zur Wahl im Oktober sind es noch vier Monate. Höchste Zeit, mit dem Aufbau eines besseren Landes zu beginnen.

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