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Politik

Ein Präsident ohne Plan

Autor und Kolumnist der ukrainischen Redaktion der Deutschen Welle Eugen Theise
Eugen Theise
20. Mai 2020

Der neue Präsident der Ukraine versprach vor seiner Wahl und beim Amtsantritt einen radikalen Bruch mit den korrupten Eliten. Doch statt eines politischen Neuanfangs verfällt das Land in alte Muster, meint Eugen Theise.

Vom ersten Tag seiner Präsidentschaft hat Wolodymyr Selenskyj alles dafür getan, sich von seinem Vorgänger Petro Poroschenko abzusetzen. Schon seine versöhnliche Antrittsrede im Parlament am 20. Mai 2019 war ein großer Kontrast zur martialischen Rhetorik Poroschenkos, dessen Wiederwahl krachend gescheitert war mit dem Versuch, sich als alternativloser Anführer im Kampf gegen den Aggressor Russland zu positionieren.

Selenskyj ist der erste ukrainische Präsident, der im Westen wie im Osten des Landes großen Rückhalt findet. Er spricht sowohl die ukrainisch- als auch die russischsprachigen Ukrainer an. Aus dem Kirchenstreit zwischen den Anhängern der unabhängigen ukrainischen Orthodoxie und denjenigen, die sich Moskau verbunden fühlen, hält er sich heraus, anstatt die Kirche politisch zu instrumentalisieren. Und seit  auch die ukrainischen Unabhängigkeitskämpfer aus den Zeiten des Zweiten Weltkriegs nur noch Thema in den Geschichtsbüchern und nicht mehr politische Aushängeschilder sind, gibt es weniger Anlass für Spannungen sowohl in der Ukraine selbst als auch im Umgang mit den polnischen Nachbarn.

Neuer Stil, alte Methoden

Aber viel mehr fällt einem leider nicht ein, wenn man sich rückblickend fragt, was sich in der Ukraine in dem Jahr unter Wolodymyr Selenskyj verändert hat. Auch wenn es ihm in den ersten Monaten gelang, den ins Stocken geratenen Reformprozess zunächst wieder anzukurbeln - die Zwischenbilanz nach einem Jahr seiner Präsidentschaft ist mehr als ernüchternd.

DW-Redakteur Eugen Theise

Kein ukrainischer Präsident vor Selenskyj hatte solche Voraussetzungen für einen echten Neuanfang nach fast drei Jahrzehnten Korruption, Vetternwirtschaft, Ungerechtigkeit. In seiner Antrittsrede gab der Ex-Komiker den alten Eliten, den "Systempolitikern", die Schuld an der Misere und versprach eine neue Ära, in der alle Ukrainer endlich gleich seien vor dem Gesetz. Als erste Amtshandlung löste Selenskyj das Parlament auf und wenige Monate später verfügte seine neugegründete Partei über die Mehrheit in der Werchowna Rada. Was für ein starkes Mandat für Veränderungen!

Allerdings mussten die Ukrainerinnen und Ukrainer schnell erkennen, dass "neue Eliten" im Wesentlichen aus engen Freunden und bisherigen Geschäftspartnern des Präsidenten aus dem Showbusiness bestehen. Dutzende Parlamentsabgeordnete der Regierungspartei "Sluga Narodu" ("Diener des Volkes"), Top-Beamte in der Kanzlei des Präsidenten, im Sicherheitsrat und anderen Behörden, sogar der Leiter des Inlandsgeheimdienstes SBU - Selenskyjs TV-Produktionsfirma "Kvartal 95" wurde plötzlich zur wichtigsten Kaderschmiede des Landes.

Personalkarussell à la Trump

Jenseits von Freundschaft und persönlicher Ergebenheit gibt es unter Selenskyj allerdings keine Kontinuität in der Personalpolitik. Minister und Gouverneure werden so oft ernannt und wieder gefeuert, dass man sich fragt, ob man sich ihr Namen überhaupt merken muss. Gleichzeitig wurden die Reformer im Team Selenskyj, deren Namen zumindest die Botschafter der westlichen Partnerländer kannten, inzwischen allesamt gefeuert.

Der Ex-Komiker hat es sogar in Bolsonaro-Manier geschafft, mitten in der Corona-Krise gleich zwei Mal den Gesundheitsminister auszutauschen. Und ähnlich schnell wie bei Donald Trump drehte sich zuletzt das Personalkarussell auch im Finanzministerium - mitten in den Verhandlungen mit dem Internationalen Währungsfonds über ein neues Hilfsprogramm. Und als wäre die Nervosität in der Wirtschaft nicht schon groß genug, feuerte der Präsident kürzlich auch noch renommierte Reformer, die an der Spitze des Zolls und der Steuerbehörde zuvor wichtige Signale in der Korruptionsbekämpfung gesetzt hatten.

Die Oligarchen haben das Sagen

Mit ihren Reformankündigungen haben sich sowohl Selenskyj als auch seine Mehrheit im Parlament gegenüber den mächtigen Oligarchen im Land schnell als Papiertiger erwiesen. Mehr als ein Viertel der Regierungsfraktion verwehrte dem Präsidenten die Gefolgschaft, als dieser auf Druck des Internationalen Währungsfonds ein Bankengesetz durchpeitschen wollte, das Igor Kolomoisky, einem der Mächtigsten Oligarchen des Landes, einen Strich durch die Rechnung gemacht hätte. Seit Kolomoisky, der mit seinem Medienimperium im Wahlkampf noch ein wichtiger Gönner Selenskyjs war, den Präsidenten offen herausfordert hat, muss sich das Staatsoberhaupt mit wechselnden Mehrheiten im Parlament durchwursteln.

Ohne Zugeständnisse hinter den Kulissen kommt der Präsident nicht mehr voran. Die ukrainische Politik verfällt damit wieder in alte Muster. Selenskyj spielt zunehmend die für seine Vorgänger übliche Rolle eines Moderators unter den Oligarchen. Diese zeigen sich durchaus loyal: Einer kauft Wohnungen für aus russischer Gefangenschaft befreite Seeleute, ein anderer Krankenwagen für marode Krankenhäuser, und wieder ein anderer besorgt Schutzmasken für die Ärzte, die sonst der Corona-Pandemie ohne jede Ausrüstung ausgeliefert wären. Wie aber Wolodymyr Selenskyj die chronischen Probleme des Gesundheitswesens oder anderer Bereiche lösen will, bleibt ein Rätsel. Dieser Präsident hat keinen Plan.

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