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Politik

Neues Wechselspiel in Bukarest

Schwartz Robert Kommentarbild App
Robert Schwartz
4. November 2019

Rumänien bekommt eine neue Regierung. Das Kabinett des liberal-konservativen Premiers Ludovic Orban wurde mit Stimmen von Überläufern und bisherigen Gegnern gewählt. Ein Pyrrhussieg, glaubt Robert Schwartz.

PNL-Chef Ludovic Orban vor der Abstimmung im Bukarester ParlamentBild: AFP/D. Mihailescu

"Noch so ein Sieg, und wir sind verloren!" So oder so ähnlich dürfte nicht nur der neue rumänische Premierminister Ludovic Orban, Chef der National-Liberalen Partei (PNL), nach der knapp gewonnen Abstimmung im Bukarester Parlament gedacht haben. Ja, die neue Zweckmehrheit in beiden Kammern des Parlaments hat funktioniert. Und ja, die abgesetzte bisherige sozialdemokratische Regierung unter Viorica Dancila darf einpacken. Endlich.

Zeit zum Feiern bleibt den Siegern aber keine. Das weiß Orban (nicht zu verwechseln mit seinem ungarischen Amtskollegen Viktor Orbán) nur zu genau. Die pro-europäische PNL verfügt nicht über die nötige Mehrheit im Parlament und ist auf die Unterstützung ehemaliger politischer Gegner angewiesen. Mehrheiten können sich schlagartig ändern. Das hat man auch bei dieser Abstimmung gesehen. Spurt die Minderheitsregierung Orban nicht so, wie es sich die Mehrheitsbeschaffer wünschen, wird sie ziemlich bald der Vergangenheit angehören. Die linkspopulistischen und oft anti-europäischen Sozialdemokraten verfügen immer noch über die meisten Stimmen im gegenwärtigen Parlament, Überläufer könnten reumütig zurück kehren und Orban jederzeit stürzen.

Robert Schwartz leitet die Rumänische Redaktion der DW

Nicht nur deshalb ist dieser Regierungswechsel von Anfang an mit einer gewissen Tragik behaftet. Er erfolgt nur wenige Tage vor den Präsidentschaftswahlen am nächsten Sonntag. Amtsinhaber Klaus Iohannis kandidiert für die PNL und will ein zweites Mandat. Seine Chancen sind gut, laut Umfragen steht er ziemlich allein an der Spitze der Kandidatenliste. Um seine Wiederwahl nicht dennoch zu gefährden, wird Iohannis wohl mehrmals täglich betonen müssen, dass "seine" Regierung Orban nichts anderes sei als ein Übergangs-Kabinett mit zwei klaren Aufgaben: das Budget 2020 aufzustellen und vorgezogene Parlamentswahlen vorzubereiten.

Unterstützung aus der Zivilgesellschaft

Letzteres erwartet vor allem die Zivilgesellschaft von Iohannis. Und das muss schließlich auch der Präsident wollen, um sich auf eine stabile Regierung stützen zu können. Die bisherige Blockade durch die PSD-Regierung hat ihm und nicht zuletzt seinem Amt arg zugesetzt. Schritt für Schritt haben die Sozialdemokraten die staatlichen Institutionen unter ihre Kontrolle gebracht und die Machtbefugnisse des Präsidenten beschnitten. Ohne die kontinuierliche Unterstützung aus den Reihen der Zivilgesellschaft - wir erinnern uns an die landesweiten Massenproteste gegen Korruption und Amtsmissbrauch - hätte Iohannis im Machtkampf mit den Postkommunisten viel schlechter ausgesehen.

Aber da wäre noch etwas, was viel zu selten angesprochen wird: Iohannis bräuchte - im Falle seiner Wiederwahl - eine neue Mannschaft auch deshalb, um sich nicht länger dem Vorwurf auszusetzen, ein "Diener" des alten Establishments zu sein. Dass die PNL vor gut fünf Jahren noch munter mit der PSD in einer gemeinsamen Allianz regieren konnte, hat man in Rumänien nicht vergessen. Zwar hat sich die PNL seither gewandelt, aber ein neues pro-europäisches Parteienbündnis der Mitte, die Allianz USR-PLUS, hat spätestens seit dem guten Abschneiden bei der Europawahl eine Sogwirkung vor allem auf das jüngere und gut ausgebildete Wahlpublikum. Iohannis täte gut daran, die Newcomer-Partei nicht zu unterschätzen.

Nach den Präsidentschaftswahlen am nächsten Sonntag - und spätestens nach einer nicht auszuschließenden Stichwahl am 24. November - wird sich zeigen, ob das neue Wechselspiel in Bukarest der langjährigen politischen Krise ein Ende gesetzt hat.