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Schuss nach hinten

1. Juni 2015

Groß ist die EU-weite Aufregung, weil Russland gegen 89 europäische Politiker und Beamte ein Einreiseverbot verhängt hat. Der Sturm der Entrüstung aber passt gerade einmal in ein Wasserglas - meint Christian F. Trippe.

Bild: picture-alliance/dpa

Die schwarze Liste aus Moskau enthält lauter Merkwürdigkeiten. Da stehen eine Menge Namen, zu denen einem buchstäblich nichts einfällt. Jedenfalls nichts, was im weiteren Sinne als anti-russische Haltung durchginge. "Anti-russisch" in dem Sinne, dass es dem außenpolitischen Kurs der Moskauer Führung um Präsident Putin kritisch-ablehnend gegenüber steht. Selbst intensive Internet-Recherchen fördern nichts zutage; auch Nachfragen in den Büros der Betroffenen ergeben nichts, womit sich das Einreiseverbot in die russische Föderation erklären ließe.

Dann fällt auf, dass eine ganze Reihe Namen doch eher auf den hinteren Bänken der Politik zu verorten sind. Andere - wie etwa der ehemalige britische Vize-Premier Nick Clegg oder der frühere tschechische Außenminister Karel Schwarzenberg - sind dermaßen ehemalig, dass die Liste auf Beobachter einen eher unprofessionellen Eindruck macht. Vielleicht hat Russland deshalb so lange mit ihr hinterm Berg gehalten.

Was will Moskau mit dieser Liste sagen?

Die Verteilung der Namen auf die einzelnen EU-Länder scheint ebenfalls eher von politischen Testosteron-Aufwallungen gesteuert zu sein, als dass sie nüchtern kalkuliert wirkte. Balten und Polen - in den Augen Moskaus ja besonders böse, weil die eigenen Kreise störend - sind weit überproportional häufig gelistet, im Vergleich zu anderen, größeren und einflussreicheren Nationen.

Was also will die Moskauer Führung mit der Liste sagen? Zunächst einmal, dass der Kreml Gebrauch macht von der diplomatischen Gepflogenheit, Gleiches mit Gleichem zu vergelten. Nach dieser Logik hat die EU "angefangen", denn sie hat schließlich als erste Einreiseverbote verhängt gegen russische Funktionäre, Politiker und Militärs, die an der Annexion der Krim beteiligt waren. Der Kreml aber begründet nicht, wie die Liste zustande kam, auch das ist ein Signal. Willkür aber ist kein Signal der Stärke.

DW-Korrespondent Christian F. Trippe

Einige der nun "Gebannten" sagen, sie seien nachgerade stolz, vorerst nicht mehr nach Russland reisen zu dürfen. Das erinnert fatal an das hohle Triumphgeschrei, das zuvor auch schon in Moskau zu hören war. Dort taten einige nationalistische Hitzköpfe so, als ob sie durch ihr Einreiseverbot in die EU geadelt worden wären. Wer aber vorgibt, sich in einer politischen Sackgasse wohl zu fühlen, kaschiert bloß die eigene Ratlosigkeit.

Ein Weg, der das Gegenteil des Gewünschten bewirkt

Genau dort aber scheinen alle Seiten fest zu stecken: In stupender Ratlosigkeit, aus der Ukraine-Krise einen Ausweg zu finden. Noch in diesem Monat müssen die EU-Granden auf ihrem Gipfel in Brüssel darüber befinden, ob sie die Sanktionen gegen Russland verlängern. Diese Debatte wird schwer genug - Griechenland, das am Rande der Pleite steht, könnte quer schießen und versuchen, die russische Karte zu spielen.

Eine ganze Reihe von EU-Ländern möchte die Sanktionen am liebsten abschütteln und wieder fröhlich Handel mit Russland treiben - Krim hin, Ostukraine her. Diese Absichten aber werden von der schwarzen Liste des Kreml durchkreuzt. Über eine Lockerung des EU-Sanktionsregimes wird nun in Brüssel kaum jemand laut nachdenken. Das aber war mit Sicherheit das Letzte, was Moskau mit seiner merkwürdigen Verbotsliste erreichen wollte.

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