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Ein Sieg für die Menschenrechte

19. Mai 2020

Die weltweite Überwachung der Telekommunikation ohne konkreten Anlass durch den Bundesnachrichtendienst (BND) ist verfassungswidrig. Dieses Urteil ist auch ein später Triumph für Edward Snowden, meint Marcel Fürstenau.

Radarkuppeln auf dem Gelände der BND-Abhörstation in Bad Aibling (Bayern), wo auch die NSA ein- und ausgingBild: picture-alliance/dpa/A. Warmuth

Für den deutschen Auslandsgeheimdienst ging Silvester 2016 ein Traum in Erfüllung: Am letzten Tag des Jahres trat das novellierte BND-Gesetz in Kraft. Seitdem darf die politisch dem Kanzleramt unterstellte Behörde grenzenlos die Telekommunikation von Ausländern überwachen. Deutsche und Bürger der Europäischen Union (EU) sollen - zumindest theoretisch - verschont bleiben. Praktisch ist das jedoch gar nicht zu gewährleisten, weil in der unendlichen globalen Flut von Telefonaten, Mails und anderen Formen der Kommunikation niemals jede einzelne Identität festgestellt werden kann.

Schon diese auch für Laien erkennbare Unmöglichkeit hätte für alle  Abgeordneten des Deutschen Bundestages Grund genug sein müssen, diesen skandalösen Freibrief für den BND abzulehnen. Doch die schon damals gemeinsam regierenden Konservativen (CDU/CSU) und Sozialdemokraten (SPD) legalisierten eine Praxis, die vorher illegal und in der Öffentlichkeit absolut unbekannt gewesen war. Ans Licht gebracht hatte sie der Whistleblower Edward Snowden 2013, als er mit Hilfe internationaler Medien die Machenschaften der National Security Agency (NSA) enthüllte.

Das gute, alte Grundgesetz gilt gewissermaßen weltweit

Der US-Geheimdienst schnüffelte mit großzügiger Unterstützung des BND in der globalen Kommunikation - sogar von deutschem Boden aus. Ein Parlamentarischer Untersuchungsausschuss versuchte das Ausmaß dieser in jeder Hinsicht maßlosen Überwachung und die dafür Verantwortlichen zu ermitteln. Das redliche Bemühen vor allem der oppositionellen Grünen und Linken war allerdings vergeblich. Dass der BND am Ende sogar ganz offiziell die Lizenz zur massenhaften und anlasslosen Überwachung erhielt, war geradezu perfide.

DW-Redakteur Marcel FürstenauBild: DW

Diese erschreckende Fehlleistung der Parlamentsmehrheit, die Angela Merkels Bundesregierung einen Herzenswunsch erfüllte, hat das Bundesverfassungsgericht nun korrigiert. Es hat klargestellt, "dass sich der Schutz der Grundrechte gegenüber der deutschen Staatsgewalt nicht auf das deutsche Staatsgebiet beschränkt". Damit steht jetzt fest: Auf das Grundgesetz können sich im Zweifelsfall alle Menschen berufen. Egal, welchen Pass sie haben und wo sie leben oder sich gerade aufhalten. Darauf hatten die Kläger gehofft - eine Gruppe ausländischer Journalisten.

Der Bundestag muss seiner demokratischen Pflicht nachkommen

Unterstützt wurden sie von den Menschenrechtsorganisationen "Reporter ohne Grenzen" und der "Gesellschaft für Freiheitsrechte" (GFF). Ihnen allen gebührt Dank für ihr Engagement. Von ihrem Erfolg geht gerade in Zeiten wie diesen ein wichtiges Signal aus. Weltweit gerät die Pressefreiheit seit vielen Jahren zunehmend unter Druck - nicht nur in autoritären Staaten und klassischen Diktaturen. In der EU reicht ein Blick nach Polen und Ungarn. Außerhalb Europas ist Australien ein abschreckendes Beispiel.

Das deutsche Parlament hat nun die Chance und die Pflicht, seiner demokratischen Verantwortung mit einem besseren BND-Gesetz gerecht zu werden. Bis Ende 2021 gibt ihm das Bundesverfassungsgericht Zeit, eine grundgesetztaugliche Novelle zu beschließen. Wobei die höchste juristische Instanz den Weg für eine presse- und menschenrechtlich faire Lösung des Problems aufzeigt. Denn unter strengen Auflagen soll die Überwachung der Telekommunikation auch weiterhin möglich sein. Dass sie nötig ist, bezweifelt ohnehin niemand.

Schutz vor Terror und Krieg bleibt möglich

Auch die erfolgreichen Kläger wollen schließlich vor Terroranschlägen und Kriegen geschützt werden. Gefahren abzuwehren und frühzeitig zu erkennen - das ist die Aufgabe des BND. Er soll der Bundesregierung wichtige Informationen für ihre außen- und sicherheitspolitischen Entscheidungen liefern. Das hilft ihr laut Urteil, "sich im machtpolitischen Kräftefeld der internationalen Beziehungen zu behaupten, und kann folgenreiche Fehlentscheidungen verhindern".

Wie das gelingen kann und muss, auch dafür gibt das Bundesverfassungsgericht eine unmissverständliche Anleitung: Unter Wahrung "datenschutzrechtlicher Anforderungen" und Einhaltung "elementarer menschenrechtlicher Grundsätze". Nichts davon ist verhandelbar. In dieser Klarheit und Eindeutigkeit liegt der besondere Wert dieses Urteils. Kritiker mögen es für weltfremd halten. Auch deshalb, weil die mit ihrer Klage in Deutschland erfolgreichen Journalisten in den meisten anderen Ländern weiterhin schrankenlos überwacht werden können.

Krimsekt für den Whistleblower!

Trotzdem ist jeder Sieg über Unrecht oder - wie in diesem Fall - ein schlechtes Gesetz Grund zur Freude und gibt Hoffnung auf Nachahmer. Einer sollte dabei nicht vergessen werden: der ehemalige NSA-Mitarbeiter Edward Snowden. Dass der Whistleblower noch immer in Russland (!) im Exil leben muss, ist eine Schande, die allen Demokratien auf dieser Welt zu denken geben sollte. Auf das nun in Deutschland gesprochene Urteil darf der US-Amerikaner stolz sein und gerne mit einem Glas Krimsekt anstoßen.

Marcel Fürstenau Autor und Reporter für Politik & Zeitgeschichte - Schwerpunkt: Deutschland
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