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Politik

Umdenken nach der Tragödie von Genua?

Barbara Wesel Kommentarbild App *PROVISORISCH*
Barbara Wesel
18. August 2018

Nach der Trauer steht die Aufarbeitung der Katastrophe von Genua an. Sie könnte Auslöser für Reformen werden. Aber die populistische Regierung zeigt bereits, dass sie nur Sündenböcke sucht, meint Barbara Wesel.

Bild: Reuters/S. Rellandini

Dieses Wochenende ist in Italien und besonders in Genua zunächst der Trauer gewidmet. Es geht darum, der Opfer zu gedenken und die Angehörigen zu trösten. Aber damit ist man schon mitten im Konflikt angekommen, denn eine Reihe von ihnen boykottiert die offizielle Trauerfeier aus Protest gegen die Regierung. Für die Populisten in Rom zeichnet sich eine erste, ernsthafte Bewährungsprobe ab und es sieht schon jetzt so aus, dass sie versagen werden.

Unglück als Auslöser von Reformen?

Der Brückeneinsturz von Genua ist die Art öffentliches Unglück, die ein Schlaglicht auf den Zustand einer Nation wirft und gleichzeitig als Antrieb für überfällige Reformen dienen kann. Viele ziehen den Vergleich zum katastrophalen Brand des Grenfell Tower in London. In beiden Fällen hatte es vorher Warnungen von Experten gegeben, und in beiden Fällen stellt sich nach dem Ereignis die Frage nach politischer Schuld, unternehmerischer Verantwortung, nach institutionellen Schwächen. 

Ein Ereignis dieser Art kann ein Land sowohl traumatisieren, als auch der Neubestimmung seiner Identität und der Stärkung seiner öffentlichen Einrichtungen dienen. Berichte sprechen inzwischen von rund 300 Brücken in Italien, die überaltert und damit gefährdet sind. Aber die Probleme reichen viel weiter: Denn auch Krankenhäuser, Schulen und Bahnstrecken und damit große Teile der öffentlichen Infrastruktur sind erneuerungsbedürftig.

Gleichzeitig müsste ein Grundübel der italienischen Politik und Verwaltung auf den Prüfstand: Die toxische Mischung aus Korruption, Schlamperei, Zuständigkeitsgerangel und Desinteresse ist der Boden, auf dem Katastrophen wie die von Genua entstehen können. Wenn der Müll nicht abgefahren und die Schlaglöcher nicht gestopft werden, ist das für die Bürger zwar lästig, aber nicht lebensgefährdend. Wenn jedoch Brücken oder andere Bauwerke einstürzen, Tote zu beklagen sind, muss endlich eine ehrliche Diskussion über den Zustand des italienischen Staatswesens beginnen.

Testfall für die Populisten in Rom

Die Situation ist ein Testfall für die Partner der neuen links- und rechtspopulistischen Regierung in Rom. Die 5-Sterne-Vertreter müssten jetzt ehrlich einen Fehler einräumen, als ihr Anführer vor ein paar Jahren Warnungen vor dem Einsturz der Morandi-Brücke in den Wind schlug. Und sie müssten auch zugeben, dass es eine Dummheit war, den Bau einer Umgehungs-Autobahn bei Genua zu blockieren. "Wir haben gelernt, wir machen es künftig besser", wäre von ihrer Seite die einzig mögliche Vorwärts-Strategie.

Barbara Wesel ist Korrespondentin in Brüssel

Stattdessen suchen sie in bestem anti-kapitalistischem Reflex die Schuldigen allein beim Autobahnbetreiber Atlantia und der Mehrheitseigner-Familie Benetton. Das ist ein billiger Ausweg, denn die angedrohte Verstaatlichung würde nichts an den Zuständen des Autobahnnetzes ändern. Im Gegenteil: Der italienische Staat hat derzeit nicht ansatzweise die Kapazitäten, die Überprüfung und den Neubau überalterter Strecken selbst zu organisieren. Er könnte die Situation sogar noch verschlimmern. 

Auch die Rechtspopulisten mit Lega-Chef Matteo Salvini machen sich die Sache ganz einfach. Er hat gleich die EU zum Sündenbock erklärt, die angeblich Italiens Ausgaben begrenzt und das nötige Geld für Reparaturen und Neubauten verweigert habe. Das ist eine unverschämte Lüge: In der laufenden Haushaltsperiode wurden rund 2,5 Milliarden an Hilfen für die Verbesserung der Infrastruktur genehmigt. Und im Mai veröffentlichte Brüssel einen Bericht, in dem Italien ausdrücklich zu mehr öffentlichen Investitionen aufgefordert wird. Darüber hinaus wurden weitere rund  acht Milliarden Euro bewilligt, die Rom ohne Wettbewerbsauflagen hätte ausgeben dürfen. Darüber hinaus hat kein Land in der EU so viele Ausnahmen von den Sparauflagen bekommen, wie das hoch verschuldete Italien.

Aber die Lüge von den bösen Europäern, insbesondere  die von den sparversessenen Deutschen, verkauft sich gut in Italien. Es besteht die Gefahr, dass sie das Märchen glauben und nicht nach den Fehlern im eigenen Haus suchen.

Wird die Chance für den Neuanfang vertan?

Die Regierung in Rom stellt sich gern als die Truppe mit den sauberen Händen dar, unbelastet von den Skandalen der Vergangenheit. Aber ihre bisherige Reaktion deutet darauf, dass sie auch nur billige Auswege statt grundlegender Reformen sucht, ganz in schlechter, alter italienischer Tradition. 

Die Italiener haben einen Anspruch auf eine bessere öffentliche Verwaltung, auf ein funktionierendes Staatswesen, das ein nachhaltiges Konzept des öffentlichen Wohls entwickelt und sich daran langfristig orientiert. Sie haben im Sinne des Wortes ein Recht auf haltbaren Boden unter ihren Füßen. Aber es sieht nicht darnach aus, als ob die Neuen in Rom auch nur versuchen würden, diesem Anspruch zu genügen. Wie so häufig bleibt den Bürgern ein zynisches Achselzucken und für Italien ein weiterer trauriger Tag.

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