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Politik

Ein weiteres Tor zur Festung Europa schließt sich

Porträt eines Mannes mit blauem Sakko und roter Krawatte
Bernd Riegert
2. August 2017

Migranten aus Afrika soll bald die Überfahrt von Libyen nach Europa verwehrt werden. Die EU findet diese Blockade gut. Das Recht auf Asyl wird so ausgehöhlt, das Problem aber nicht gelöst, meint Bernd Riegert.

Modell für die Zukunft? Libyens Küstenwache bringt afrikanische Migranten nach Libyen zurückBild: Reuters/I. Zitouny

In diesem Jahr haben bislang bereits 95.000 Asylbewerber oder Migranten über das Mittelmeer italienische Häfen erreicht. Es könnten leicht doppelt so viele werden. Denn die "Saison" für die Schlepper und Retter hat ihren Höhepunkt noch nicht erreicht. Der italienische Außenminister hat angesichts dieser Lage die Notbremse gezogen. Die Hilfe aus Europa sei mangelhaft, beklagt der nationalkonservative Angelino Alfano. Weder würden genügend Asylbewerber aus Italien in andere EU-Staaten umgesiedelt, noch würde sich die EU mit ausreichenden finanziellen Mitteln an der der Unterbringung der Migranten beteiligen.

Mit beiden Argumenten hat der italienische Minister leider recht, deshalb ist es nicht verwunderlich, dass Italien jetzt zu einem Mittel greift, das bislang aus humanitären Gründen als nicht adäquat galt: Italien will durchsetzen, dass die Asylbewerber oder Migranten in Libyen bleiben und nur noch wenig Aussicht haben, die italienischen Häfen zu erreichen. In diese Strategie passt das Vorgehen gegen private Retter, die bislang auf ihren Schiffen rund 40 Prozent aller Ankömmlinge nach Lampedusa oder Sizilien brachten.

Abschreckung heißt das Rezept. Es soll nach italienischen Vorstellungen so erfolgreich funktionieren, wie im östlichen Mittelmeer, wo der Pakt mit der Türkei den Strom der Migranten nach Griechenland fast zum Erliegen gebracht hat. Diesmal wird der Pakt mit Libyen geschlossen, einem chaotischen Staat, der für die Sicherheit der aus hauptsächlich aus dem subsaharischen Afrika durchreisenden Migranten und Asylbewerber wohl kaum sorgen kann und will. 

EU sollte ehrlich sein und sich beteiligen

Die Route über das Mittelmeer soll unterbrochen werden. Das ist das erklärte Ziel nicht nur der italienischen, sondern auch der EU-Migrationspolitik. Die allermeisten EU-Staaten werden es begrüßen, dass Italien jetzt die Initiative ergreift. Die EU-Kommission in Brüssel zumindest hat nichts einzuwenden. Sollte der italienische Plan aufgehen, sollte sich auch die europäische Grenzschutzagentur mit ihrer Mission "Sophia" konsequenterweise an der Seeblockade beteiligen, die da jetzt vorbereitet wird.

Europa-Korrespondent Bernd Riegert

Italien wird wohl bereits Ende August eigene Schiffe in libysche Hoheitsgewässer schicken, um Schleuser abzuschrecken. Asylbewerber oder Migranten, die von diesen Schiffen aus dem Meer gefischt werden, werden dann nicht mehr nach Italien, sondern zurück nach Libyen gebracht. Das sollte, so das Kalkül der italienischen Regierung, dazu führen, dass nach wenigen Wochen niemand mehr die Überfahrt wagt. Ohne Aussicht, einen europäischen Hafen zu erreichen, lohnt sich die gefährliche und teure Fahrt nicht mehr. Das Geschäft der Schlepper wäre verdorben.

Offiziell soll die libysche Küstenwache für die neue Operation zur Abschreckung der Migranten verantwortlich bleiben. In der libyschen Staatsführung gab und gibt es heftigen Streit darüber, ob man ausländischen Schiffen die Einfahrt in libysche Gewässer erlauben sollte. Der von der EU anerkannte Regierungschef sagt zwar Ja, er hat aber keine Kontrolle über das gesamte Land und seine lange Küste.

Schwacher Partner Libyen

De facto ist die libysche Küstenwache ohnehin eher eine theoretische Einrichtung. Nach Angaben Italiens verfügen die Libyer nur über zwei Schiffe. Die wesentlichen Kräfte werden also aus Italien kommen, zurzeit sind sechs Schiffe vorgesehen. Mögen Nichtregierungsorganisationen auch gegen mögliche Verletzungen der Menschenrechte protestieren - die EU wird das überhören. Zu verlockend ist die Aussicht, dass die Mittelmeerroute austrocknen könnte. Das Migrationsproblem könnte ähnlich wie im Fall Griechenland/Türkei nach außen, vor die Grenzen der EU verlagert werden.

Die potenziellen Asylbewerber würden sich zwar in Libyen stauen, aber das ist aus Sicht vieler EU-Politiker immer noch besser, als der nicht enden wollende Treck nach Italien, der auch zu Friktionen innerhalb der EU führt. Der österreichische Außenminister Sebastian Kurz weist darauf hin, dass nach Schließen der Mittelmeerroute natürlich auch die Zahl der Todesopfer zurückgehen werde. Zynisch vielleicht, trotzdem wahr. Immerhin haben in diesem Jahr 2300 Menschen bislang den Fluchtversuch mit dem Leben bezahlt.

Festung Europa 

Es kommt jetzt darauf an, was mit den Menschen passiert, die teilweise seit Monaten in Libyen festsitzen und dort unter schlimmen Bedingungen ausharren. Werden sie zurückkehren in ihre Heimatländer? Oder sind Auffanglager in Libyen, betrieben von den Vereinten Nationen, finanziert von der EU, eine akzeptable Lösung? Wenn Italien und Libyen jetzt die Mittelmeerroute schließen, muss eines klar sein: Der Migrationsdruck aus Afrika nach Europa wird nicht nachlassen. Im Gegenteil: Er wird in den nächsten Jahren noch steigen. Es könnte gut sein, dass sich die Menschen dann einfach andere Wege suchen.

Italien und die Europäische Union setzen auf Abschreckung und Abschottung. Einer der letzten Wege, auf dem mögliche Asylbewerber überhaupt noch legal in die EU gelangen können, wird nun ebenfalls abgeriegelt. Einen Asylantrag können Bewerber nämlich nur stellen, wenn sie tatsächlichen europäischen Boden betreten haben. Das ist an den Land-Außengrenzen der EU, ob in Ungarn, Kroatien, Bulgarien, Rumänien oder Griechenland, nur noch eine theoretische Möglichkeit. Die Festung Europa wäre dem erklärten Ziel, einer kompletten Schließung, einen großen Schritt näher. 

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Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union
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