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Politik

Endlich!

20. Juli 2017

Die Bundesregierung geht nicht mehr nur verbal auf Distanz zu Ankara, sondern leitet konkrete Schritte ein. Das war überfällig, ob es aber wirkt, ist nicht sicher, meint Christoph Strack.

Die Türkei wirbt massiv und bisher mit großem Erfolg um Urlaubsreisende aus DeutschlandBild: Imago/Müller-Stauffenberg

Die Bundesregierung handelt und stellt sich der Türkei entgegen. Endlich. Denn das war überfällig. Ein wenig zumindest. Denn es wären auch andere Schritte denkbar. Aber wichtiger ist: Die deutsche Seite macht nun zum ersten Mal deutlich, dass sie nicht mehr nur auf mahnende Worte setzt. Und Außenminister Sigmar Gabriel betont dabei den Zusammenhalt der schwarz-roten Bundesregierung auch in Wahlkampfzeiten.

Seit Monaten pflegt die Türkei im Umgang mit inhaftierten deutschen Staatsbürgern ein Verhalten, das in jedem EU-Land undenkbar wäre, das gegenüber jedem EU-Land zur gehörigen diplomatischen Krise führen würde. Neun von zwischenzeitlich 22 inhaftierten deutschen Staatsbürgern sitzen derzeit noch in türkischer Untersuchungshaft. Die prominentesten Fälle sind der zuletzt inhaftierte amnesty-Mitarbeiter Peter Steudtner, der bereits seit 157 Tagen inhaftierte Journalist Deniz Yücel und die Übersetzerin Mesale Tolu, die dem Vorwurf der "Terrorpropaganda" ausgesetzt sind. "Sie stehen für ein Unrecht, das jeden treffen kann", mahnte der Minister.

Eine dauernde Provokation

Dass deutsche Staatsbürger aus den unterschiedlichsten Gründen - Gewaltverbrechen, Verkehrsdelikte, sexueller Missbrauch - irgendwo in der Welt in Haft kommen, ist Alltag in der globalisierten Welt und Teil des diplomatischen Geschäfts. Gabriel: "Wir müssen in jedem Fall um den völkerrechtlich zustehenden Anspruch auf konsularischen Zugang kämpfen." Das ist für Diplomaten ein Affront, eine dauernde Provokation. Auch für einen Außenminister, erst recht für eine Kanzlerin. Aber es geht um mehr. Es geht um die Abkehr von grundlegenden europäischen Werten, um die Preisgabe von Rechtsstaatlichkeit (einschließlich Verlässlichkeit) und Demokratie.

Christoph Strack ist Korrespondent im HauptstadtstudioBild: DW

Reichen vor diesem Hintergrund die nun eingeleiteten Schritte bei Reisehinweisen, Exportbürgschaften und Investitionskrediten? Die Verschärfung der Reisehinweise des Auswärtigen Amtes für die Türkei scheint nur ein Detail. Die schärfere Stufe, die Reisewarnung (es gibt sie für 25 Länder) scheut das Haus ganz offensichtlich - vielleicht wegen drohender Entschädigungsklagen der Reiseveranstalter. Aber aus dem Satz "Personen, die aus privaten oder geschäftlichen Gründen in die Türkei reisen, wird empfohlen, sich auch bei kurzzeitigen Aufenthalten in die Listen für Deutsche im Ausland bei Konsulaten und der Botschaft einzutragen" schreit die Warnung vor einer Urlaubsreise an sonnige Strände geradezu heraus. Jede Reise hat ein Risiko. Man sollte es meiden.

Auch die von Gabriel angekündigte gestellte Kursänderung bei Bürgschaften für deutsche Unternehmen, die in der Türkei investieren, wird Folgen haben - eher für das Land am Bosporus als für die deutsche Wirtschaft, die derzeit vor Kraft strotzt. Es ist ein Signal an die Wirtschaft, dass Berlin der Türkei nicht mehr traut. Beim deutschen Außenhandel hieß es nach Gabriels Ankündigungen, man rechne nun mit "deutlichen Einbrüchen", erwartet aber nicht, "ins Wanken" zu kommen.

Werte haben ihren Preis

Ja, für europäische Werte einzustehen kann auch einen Preis haben. Während die Fernsehsender an diesem Mittwoch auf die sich verzögernde Gabriel-Rede warteten, strahlte einer von ihnen einen Türkei-Werbespot von Friede, Freude, Eierkuchen aus. Irritierend. Während der Springer-Verlag unentwegt für seinen Korrespondenten Deniz Yücel kämpft und "FreeDeniz" über Berlin leuchten lässt, bewerben Springer-Blätter (wie auch andere deutsche Zeitungen) großflächig die ach so schöne Türkei. Gleichfalls Irritierend. Wer Werte hochhalten will, muss auch einen Preis zu zahlen bereit sein.

Gut zwei Monate vor der Bundestagswahl, also schon mitten im Wahlkampf, betonte Gabriel seine Absprache und Abstimmung mit Kanzlerin Angela Merkel und deren Herausforderer Martin Schulz. Die Bundesregierung und die sie tragenden Parteien, so wirkte das, stehen geschlossen zum härteren Kurs gegenüber der Türkei. Erst gegen Ende ließ Gabriel erkennen, dass er - gemeinsam mit Schulz - gerne härter gegen Ankara vorginge: Er würde gerne die Gespräche zu einer Zollunion auf europäischer Ebene einfrieren. Halten sich die Sozialdemokraten ein Hintertürchen offen? Oder ahnen sie, dass das jetzige deutsche Vorgehen Ankara nicht beeindrucken wird? Doch der Weg des Herrn Erdogan führt längst weg von Europa - nicht nur von Deutschland.

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