Die Wiederbelebung des Pipelineprojekts Turkish Stream dürfte wohl zum handfestesten Ergebnis des am 9. August in Sankt Petersburg stattfindenden Treffens zwischen Wladimir Putin und Recep Tayyip Erdogan werden. Die Präsidenten Russlands und der Türkei werden sich außerdem erneut zu dem stark in Verzug geratenen Bau des ersten türkischen Atomkraftwerks Akkuyu bekennen.
Ansonsten soll dieses kurzfristig anberaumte Treffen hauptsächlich das Ende einer Eiszeit in den Beziehungen beider Länder manifestieren. Ihre autoritären Herrscher vollzogen seinerzeit eine schnelle Annäherung, doch dann, im November 2015, kam es zum Krach - wegen des Interessenkonflikts in Syrien und dem Abschuss eines russischen Bombers durch die türkische Luftwaffe. Nun werden beide Staatsmänner bestrebt sein, ihren Völkern und der ganzen Welt, besonders der EU, zu zeigen, dass der Zwist beigelegt ist. Für Moskau und Ankara ist es wichtig, an Brüssel, Berlin, Paris, natürlich auch an Washington, das Signal zu senden: Wir können sehr wohl ohne euch oder sogar gegen euch Freunde sein.
Ein Heimspiel für den vermeintlichen Sieger Putin
Was besonders symbolisch ist: Der bevorstehende Austausch von Meinungen und Freundschaftsbekundungen wird nicht auf neutralem Terrain stattfinden, beispielsweise am Rande eines G20-Treffens. Der stolze orientalische Herrscher Erdogan, der sich für den Flugzeugabschuss und den Tod des russischen Piloten kürzlich bereits entschuldigt hat, kommt extra nach Russland, noch dazu in die Geburtsstadt Putins. Das verstärkt den Eindruck, dass aus diesem Konflikt der russische Präsident als Sieger hervorgegangen ist - sowohl politisch als auch wirtschaftlich. Er wollte die Gas-Pipeline Turkish Stream - und er wird sie bekommen.
Die Frage ist nur: in welcher Form und zu welchen Preis? Und da könnte sich Erdogan als heimlicher Sieger erweisen. Sollte in Petersburg die Entscheidung fallen, nur einen und nicht zwei Stränge der Gaspipeline zu bauen, wäre Ankara im Vorteil. Genauer gesagt: wären Moskau und vor allem Gazprom im Nachteil.
Der missglückte Ersatz für die South Stream
Kurz zur Vorgeschichte. Der Kreml setzt schon seit einigen Jahren alles daran, dem Transit russischen Gases durch die Ukraine ein Ende zu setzen. Dieses Gas fließt durch ukrainisches Gebiet nach Westen, in die EU, aber es gibt auch einen Abzweig nach Süden. Diese Leitung geht durch Moldawien, Rumänien und Bulgarien und beliefert auch den westlichen, europäischen Teil der Türkei mit russischer Energie.
Ursprünglich sollte der gesamte Ukraine-Transit durch die South Stream ersetzt werden - eine Gaspipeline aus vier Strängen mit einer Gesamtkapazität von 63 Milliarden Kubikmeter im Jahr. Sie sollte aus dem russischen Hafen Anapa über den Grund des Schwarzen Meeres nach Bulgarien und von dort nach Österreich verlegt werden. Doch es kam zu einem Konflikt mit Brüssel, denn das Projekt verstieß gegen EU-Regeln.
Und so verkündete Putin nach einem Treffen mit Erdogan in Ankara im Dezember 2014 plötzlich die Umleitung der Schwarzmeer-Pipeline in Richtung Westtürkei, wo drei der vier Stränge weiter bis zur Grenze mit Griechenland gezogen werden sollten, also bis zur Grenze des Hauptabnehmers des russischen Gases: der EU. Das war die Geburtsstunde des Projektes "Turkish Stream". Doch schon bald darauf kam das Projekt ins Stocken, denn auf einmal hatte die Türkei kein Interesse mehr am Transit großer Mengen russischen Gases und wollte lediglich einen Strang zur Deckung des eigenen Bedarfs. Dann kam es zum Abschuss des Bombers, und mehr als ein halbes Jahr lang herrschte der Eindruck, das Projekt sei tot.
Ankara beharrt auf der unwirtschaftlichsten Variante
Aber nein, jetzt soll es wiederbelebt werden. Der Knackpunkt dabei: Um wie viele Stränge geht es jetzt noch? Von vieren ist längst keine Rede mehr. Doch lediglich eine Röhre mit einer Kapazität von 15,75 Milliarden Kubikmeter wäre für Gazprom die kostspieligste und damit ungünstigste Variante. Denn der russische Staatskonzern müsste mehrere Milliarden kreditfinanzierter Dollars in die Hand nahmen, um eine verhältnismäßig kleine Pipeline durch das tiefe Schwarze Meer zu verlegen und am türkischen Ufer die ganze Infrastruktur aufzubauen. Und das alles nur mit dem Ziel, eine gut funktionierende Überlandpipeline zu ersetzen.
Natürlich würde ein zweiter Strang die Turkish Stream nicht rentabel, aber zumindest umsatzstärker machen, denn dann könnte Gazprom über die geplante Poseidon- Pipeline Griechenland und Italien beliefern. Doch der stellvertretende türkische Ministerpräsident Mehmet Simsek sprach bei seinem jüngsten Besuch in Moskau ausdrücklich von einem Strang. Das klang nicht nach einer großen Kompromissbereitschaft Ankaras.
Gazprom muss sich politischen Zielen unterordnen
Es kann also durchaus sein, dass der vermeintliche Sieger Putin, voll fixiert auf das geopolitische Ziel, der Ukraine um jeden Preis den Gastransit zu nehmen, Gazprom eine Bürde auferlegt, die der Staatskonzern in Zeiten leerer Kassen nur mit äußerster Kraftanstrengung wird tragen können: nämlich im Schwarzen Meer unverhältnismäßig viel Geld für einen einzigen Strang Turkish Stream zu investieren und fast gleichzeitig in der Ostsee die Verlegung der Nord Stream 2 mit 55 Milliarden Kubikmetern Jahreskapazität zu stemmen.
Der vermeintliche Verlierer Erdogan bekäme dagegen auf Kosten Russlands eine nagelneue Untersee-Pipeline gebaut, die keinen Transitrisiken unterliegt. Und damit auf Dauer noch billigeres Gas, denn die zurzeit in mehreren Ländern anfallenden Transitkosten würden entfallen. Außerdem wäre Ankara die tiefste Dankbarkeit Aserbaidschans sicher. Denn dieser enge regionale Verbündete verlegt bereits durch die Türkei bis nach Griechenland die Pipeline TANAP und ist an konkurrierenden russischen Projekten zu Belieferung der südlichen EU-Staaten ganz und gar nicht interessiert.
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