Erdogans Kriegspfad
Die Radikalen gewinnen die Oberhand. Der innertürkische Friedensprozess hängt am seidenen Faden. Alle warten auf eine Äußerung von PKK-Chef Abdullah Öcalan. Der sitzt im Knast auf der Gefängnisinsel Imrali. Vielleicht hat er schon - oder hätte gerne - etwas gesagt. Vielleicht dürfen seine Worte das Eiland im Marmarameer nicht verlassen.
Ankara und die PKK befinden sich seit gestern de facto wieder im Krieg. Der militärische Arm der PKK hat via Internet den Waffenstillstand aus dem Jahr 2013 für beendet erklärt. Ein Wort von Öcalan könnte das rückgängig machen. Will er das? Will Ankara das?
Erdogans neuer Weg?
Und was will Präsident Erdogan? Der 61-Jährige hat wie kein türkischer Staats- und Regierungschef vor ihm einen Ausgleich mit den Kurden seines Landes gesucht. Dafür verdient er Anerkennung. Mit den Luftangriffen auf PKK-Stellungen schlägt er eine neue Richtung ein. Er hat nicht über Nacht seine Gesinnung geändert. Er hat aber inzwischen begriffen, dass sich die Dynamik in der Region wieder einmal nicht gemäß seinen Erwartungen entwickelt hat.
Jetzt versucht er eine Korrektur mit Bomben und Raketen. Das betrifft sowohl die IS-Terrormiliz, die Ankara jahrelang mindestens geduldet, wenn nicht sogar aktiv unterstützt hat. Und es betrifft auch die PKK. Die Kurden Syriens haben mit Unterstützung der türkischen PKK der IS-Terrormiliz die Stirn geboten. Kobane und Tel Abyad stehen symbolhaft für kurdischen Widerstand und sie stehen für Ankaras Missbilligung eben dieser kurdischen Erfolge.
Militärschläge während der Regierungsbildung
Und noch etwas nervt Erdogan zutiefst: Das starke Abschneiden der prokurdischen HDP bei gleichzeitigem Verlust der absoluten Mehrheit seiner AKP bei den Parlamentswahlen am 7. Juni. Es gibt noch immer keine neue Regierung in der Türkei. Sollten Erdogan und sein Ministerpräsident Davutoglu auf Neuwahlen spekulieren, bei denen die HDP aufgrund patriotischer Aufwallungen und geschürter Terrorangst wieder aus dem Parlament fliegt? Es kann nicht ausgeschlossen werden.
Der Friedensprozess wäre dann tatsächlich erledigt, weil sich viele Kurden um ihre politische Hoffnung betrogen sähen. Wie viel Stabilität und wirtschaftlichen Aufschwung könnte ein Ausgleich mit den Kurden der Türkei bringen! Erdogan ist nicht allein zu tadeln. Radikale Elemente innerhalb der PKK tragen mit ihren Morden und Angriffen zur Eskalation und zum möglichen Scheitern des ersehnten Friedensprozesses bei. Kommt zum zu erwartenden Terror der IS-Fanatiker auch noch Terror durch die PKK, dann blühen der Türkei ziemlich unruhige Zeiten.