Kommentar: Erfolgsgeschichte mit Schatten
27. April 2014Nein, an Problemen mangelt es Südafrika nicht: Zwanzig Jahre nach dem Ende der Apartheid ist der Reichtum im Land so ungerecht verteilt wie kaum sonst irgendwo auf der Welt. Fast die Hälfte der Bevölkerung lebt unter ärmlichen Bedingungen - die meisten von ihnen sind Schwarze. Eine selbstherrliche Elite regiert das Land und benimmt sich mitunter, als wäre der Staat ihr Eigentum. Da wird mal eben die Presse mit einem drakonischen Mediengesetz geknebelt und die Privatresidenz des Präsidenten auf Kosten der Steuerzahler üppig ausgebaut.
Die Apartheid ist per Gesetz abgeschafft, aber Schwarze und Weiße leben oft noch immer eher neben- statt miteinander: Es gibt noch immer "weiße" und "schwarze" Wohnviertel, "weiße" und "schwarze" Kirchen, "weiße" und "schwarze" Restaurants. Wenn die internationale Presse über Südafrika schreibt, dann lautet die Schlagzeile meistens in Anlehnung an das multi-ethnische Demokratieexperiment "Der Regenbogen ist verblasst".
Keine Regenbogennation über Nacht
Auch wenn jetzt das 20-jährige Ende der Apartheid gefeiert wird: die Party am Kap ist vorbei. Es gibt keinen Nelson Mandela mehr, der mit hoffnungsvollen Visionen die Menschen in Südafrika und im Ausland verzaubern könnte. Der Enthusiasmus ist verflogen, dass aus einer rassistischen Diktatur über Nacht ein Land wird, in dem alle Menschen friedlich und in Wohlstand zusammenleben.
Und dennoch: Südafrika hat Grund, den 20. Geburtstag seiner Wiedergeburt zu feiern. Das Land und seine so heterogene Bevölkerung haben vieles in den letzten Jahren erreicht und dürfen darauf zurecht stolz sein. Es grenzt schon an ein Wunder, dass ein Land mit einer derart explosiven Geschichte, das nach dem Ende der Apartheid an der Schwelle zum Bürgerkrieg stand, nicht in Gewalt untergegangen ist. Vielmehr setzt Südafrika Maßstäbe, allen Verfehlungen seiner politischen Klasse zum Trotz.
Mutige Zivilgesellschaft
Das Land hat eine der liberalsten Verfassungen der Welt. Die Zivilgesellschaft kämpft mutig dafür, dass diese auch im Alltag Anwendung findet. Der Großteil der Medien guckt der ANC-Regierung auf die Finger und mahnt Korruption und Ineffizienz an. Selbst treue Weggefährten des ANC wie der Friedensnobelpreisträger Desmond Tutu kritisieren die Regierung von Präsident Zuma inzwischen offen. Auch unter den Amtsträgern finden sich kritische Geister: Dass Präsident Zuma unverhältnismäßig viel Steuergeld nutzte, um seine Privatresidenz auszubauen, hat die Ombudsfrau der Regierung schonungslos offen gelegt.
Südafrika ist auch nicht den Weg vieler anderer Länder in der Region gegangen und hat seine eigene Vergangenheit totgeschwiegen. Bewegende Szenen haben sich vor der Wahrheits- und Versöhnungskommission abgespielt, die politisch motivierte Verbrechen aus der Apartheidzeit aufdecken sollte: Täter bekannten vor den weinenden Opfern ihre Schuld.
Ein Land auf dem Weg
Zudem will eine neue Generation ein neues Kapitel südafrikanischer Geschichte schreiben. In den Köpfen vieler junger Südafrikaner verschwinden die Barrieren zwischen Schwarz und Weiß, die 80 Jahre das Denken prägten. In Johannesburg oder Kapstadt gehen Menschen aller Hautfarben aufeinander zu, schwarz-weiße Cliquen und Ehepaare gibt es längst.
Beeindruckend auch, mit welcher Ruhe die Südafrikaner auf den Tod Nelson Mandelas reagiert haben. Bei den meisten weißen Südafrikanern kam keine Hysterie auf, dass das Land ohne den großen Versöhner in den Bürgerkrieg abrutschen oder zu einem zweiten Simbabwe werden könnte. Denn auch wenn viele Südafrikaner ihr Land offen und schonungslos kritisieren: Das Vertrauen ist da, dass Südafrika stark genug ist, seine vielen Probleme zu lösen.
Südafrika ist weder strahlende Erfolgsgeschichte noch Krisenstaat, sondern ein Land auf dem Weg. Die Erblasten von Jahrzehnten weißen Rassenwahns vollständig wegzuräumen, ist in 20 Jahren nicht möglich. Doch trotz aller Probleme - Südafrika hat das Potenzial, seine Probleme in den Griff zu bekommen. Die Wahl im Mai wird dabei richtungsweisend sein. Am Sonntag darf Südafrika aber zunächst einmal zwanzig Jahre ohne Apartheid feiern.