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Politik

Tiefe Gräben in der EU

Porträt eines Mannes mit blauem Sakko und roter Krawatte
Bernd Riegert
21. Februar 2020

Der Streit zwischen sparsamen Zahlern und fordernden Empfängern in der EU geht nicht nur ums Geld, sondern er geht tiefer. Eine Lösung ist erst einmal nicht in Sicht, meint Bernd Riegert.

Bild: picture-alliance/U. Baumgarten

Es war keine große Überraschung, dass sich die 27 Staats- und Regierungschefs der EU bei ihrem Sondergipfel noch nicht auf einen Haushaltsrahmen für die nächsten sieben Jahre einigen konnten. Die Gräben sind zu tief. Die Positionen zu unbeweglich. Die Einzahler wollen 1000 Milliarden geben, die Empfänger verlangen bis zu 1300 Milliarden Euro.

Das Problem ist aber nicht nur das schiere Geld, sondern vielmehr die Struktur. An den geplanten Ausgaben für die nächsten sieben Jahre kann man erkennen, wie die EU sich ihre Zukunft vorstellt. Die neue EU-Kommission will mit einem "Green Deal" mehr Klima- und Umweltschutz erreichen. Daneben listen EU-Politiker in ihren schönen Reden eine ganze Reihe weiterer Herausforderungen für die Gemeinschaft auf: Grenzschutz, Migration, Forschung, Digitalisierung und gemeinsame Verteidigung zum Beispiel. Gemessen an diesem Anspruch bleibt der auf dem Sondergipfel erfolglos hin- und hergewälzte Etatentwurf bis 2027 hinter den Zielen zurück. Noch immer sollen Zwei Drittel der Gelder in die Landwirtschaft und die Förderung ärmerer Regionen, die sogenannte Kohäsion, fließen.

Falsche Richtung

Die Struktur des Haushalts setzt die falschen Schwerpunkte. Das meinen zumindest die EU-Mitgliedsstaaten, die nicht so sehr von den "alten" Ausgaben für Landwirtschaft und Kohäsion profitieren wie andere. Die Förderung der Landwirtschaft bleibt ewig Kern des EU-Geschäfts, meinen dagegen andere EU-Mitgliedsstaaten, darunter Frankreich, das einen großen Batzen der Förderung erhält. Wieder andere EU-Mitglieder wollen beides, "zukunftsträchtige" und "alte" Ausgaben, und fordern einfach ein höheres Budget. Nach dem Ausscheiden Großbritanniens als Einzahler in den großen Topf sind die Nettozahler mit einer Erhöhung des Budgets aber zurecht sehr zögerlich. Die Brexit-Lücke zu füllen, ist schon teuer genug.

Europa-Korrespondent Bernd Riegert

Beide Lager haben sich beim ersten Haushalts-Sondergipfel der Saison einige Zentimeter aufeinander zubewegt, es bleiben noch viele Meter zurückzulegen. Dabei geht es nicht nur um die Gesamtsumme und die programmatischen Schwerpunkte, sondern es geht auch, und das wird beim oberflächlichen Zank um das Geld oft verdrängt, um etwas Grundsätzliches: Solidarität.

Der Kern der europäischen Einigung ist die Wahrnehmung gemeinsamer Interessen und eine Angleichung der Lebensverhältnisse. Mit Polen und Ungarn haben sich aber mindestens zwei Länder aus dieser Solidarität verabschiedet, weil sie rechtsstaatliche Prinzipien über Bord werfen und obendrein keine Migranten aufnehmen. Warum sollten sie also die gleichen solidarischen Zahlungen erhalten wie rechtstreue Mitglieder? Der neue Haushaltsrahmen sollte genutzt werden, um Polen und Ungarn zu disziplinieren. Diese Chance scheinen die Staats- und Regierungschefs aber zu verpassen.

Mit dem Geldbeutel führen

Offenbar sind sie um einer Einigung willen bereit, auf eine weitgehende Rechtsstaats-Überprüfung vor Auszahlung von Mitteln zu verzichten. Das signalisiert nur, dass man in der EU eigentlich machen kann, was man will - und der Rubel rollt trotzdem. Den ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán, der die EU kürzlich wieder als Blabla-Veranstaltung verhöhnt hat, wird es freuen. Er hat wie alle anderen Gipfelteilnehmer ein Vetorecht. Sein dreister nationalpopulistischer Kurs siegt.

Und auch die polnische Regierung kann sich freuen. Trotz aller Kritik an der Gängelung der polnischen Richter ist die EU nicht in der Lage, ihre Grundsätze gegenüber Warschau durchzusetzen. Mahnungen, Verfahren, Gerichtsurteile haben Polen und Ungarn ignoriert.

Einen Haushaltsrahmen ohne ein eindeutiges Bekenntnis zur Rechtsstaatlichkeit darf es nicht geben. Auch deshalb war es richtig, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel diesen ersten Haushaltsgipfel scheitern ließ.

Ein, zwei weitere Gipfeltreffen werden nötig sein, um jetzt auf den kleinsten gemeinsamen Nenner zu kommen. Der Haushaltsrahmen wird weder zukunftsorientiert noch richtungsweisend sein. Die gute Nachricht ist: Die 27 Staaten werden sich mit viel dramatischem Getöse einigen, weil sie es müssen. Sonst würde die EU aufhören zu funktionieren. Und das will niemand in der Runde.

Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union
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