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Politik

Es gibt noch Hoffnung für Kolumbien

Thofern Uta 62 Latin Berlin 201503 18
Uta Thofern
4. Oktober 2016

Das Nein zum Abkommen mit der FARC-Guerilla bedeutet nicht das endgültige Aus für den Frieden. Um den Prozess zu retten, braucht das Land keine internationale Empörung, sondern mehr denn je Hilfe, meint Uta Thofern.

Mit diesen Plakaten hatten die Gegner des Friedensabkommen mit der FARC geworbenBild: Picture-Alliance/dpa/C. Escobar Mora

Die Kolumbianer haben nicht mehrheitlich gegen den Frieden gestimmt, sondern lediglich gegen das Friedensabkommen. Niemand in Kolumbien will den Krieg fortsetzen. Das ist die gute Nachricht. Die schlechte: Die Wähler haben mit großer Mehrheit überhaupt nicht abgestimmt und folgten damit einem weltweiten Trend, den Europa zuletzt eindrucksvoll bei den jungen Wählern erlebte, die das Brexit-Votum nicht interessierte. Schon deshalb klingt der internationale Aufschrei des Entsetzens angesichts des Neins zum Friedensabkommen anmaßend. Eine genauere Analyse des Plebiszits offenbart weitere Ähnlichkeiten zu politischen Entwicklungen in anderen Ländern - aber auch neue Chancen.

Der Blick auf die regionale Verteilung der Wahlergebnisse zeigt, dass in Bogotá die Befürworter des Friedensabkommens zwar knapp gewonnen haben, aber in fast allen anderen großen Städten wie Medellín setzten sich die Gegner durch. Dort, wo der jahrzehntelange Bürgerkrieg am wenigsten zu spüren war. In den dünner besiedelten ländlichen Gebieten und Randregionen hingegen, die am stärksten unter dem Konflikt gelitten haben, fand das Friedensabkommen die größte Zustimmung. Ein Zeichen dafür, dass die Opfer des Konflikts im Interesse ihrer Sicherheit eher bereit waren auf Gerechtigkeit zu verzichten, als die bürgerliche Klasse jener, für deren Rechtsempfinden die milden Regelungen der Übergangsjustiz für die Guerilleros unerträglich sind. 

Kein Sieg des Populismus

Besonders viel Zustimmung für das Abkommen gab es in der Region Atlántico, in der Präsident Manuel Santos traditionell besonders hohe Unterstützung genießt - und in der die Wahlbeteiligung vermutlich wegen des Hurrikans "Matthew" ganz besonders niedrig ausfiel. Eine Stadt, die mit überwältigender Mehrheit mit "Nein" stimmte, ist Cúcuta, direkt an der Grenze zu Venezuela gelegen. Die vollkommen überzogenen Warnungen der "No"-Kampagne unter Ex-Präsident Álvaro Uribe vor einer kommunistischen Machtübernahme in Folge des Friedensabkommens wurden hier, mit der bedrückenden Realität des Nachbarlandes vor Augen, offensichtlich besonders ernst genommen.

Uta Thofern leitet die DW-Angebote für Lateinamerika

Die Schlussfolgerung, in diesem Plebiszit habe der Populismus gesiegt, ist dennoch zu schlicht. Zum Einen hat sich auch das "Sí"-Lager vor populistischen Äußerungen nicht gescheut und die Gegner des Abkommens pauschal als Kriegsgewinnler verunglimpft, ohne ihre Argumente zur Kenntnis zu nehmen. Zum Anderen bleibt es die niedrige Wahlbeteiligung, die entgegen allen Umfragen am Ende dem "Nein" zum Sieg verhalf. Und nicht im ganzen Land hat der Hurrikan gewütet.

Wahlenthaltung steht für Gleichgültigkeit und Resignation, auch für erschüttertes Vertrauen in das politische System. Die Wütenden gehen wählen, sobald sich ihnen eine Alternative anbietet. Ein Phänomen, das in Europa leider ebenso bekannt ist wie in den USA.

Misstrauen gegen die politische Klasse

In Kolumbien spiegelt sich die Unversöhnlichkeit der politischen Lager in der Männerfeindschaft zwischen den ehemaligen Weggefährten Santos und Uribe wider. Beide erweckten durchaus den Eindruck, dass es ihnen nicht zuletzt darum ging, jeweils selbst die Lorbeeren für den Frieden einzuheimsen. Dieser Verdacht schürte das ohnehin weit verbreitete Misstrauen gegen die politische Klasse. Hinzu kam die nahezu einhellige Unterstützung des Friedensabkommens durch die nationale und internationale Presse. Eine unvoreingenommene Diskussion der Bedenken schien da vielen offenbar nicht mehr möglich. Präsident Santos und die Kampagne der Befürworter hätten mehr dafür tun können, die Gegner zu überzeugen. Doch gegenüber den "Uribisten" herrschten Siegesgewissheit und Dialogunfähigkeit, die der gewiefte Ex-Präsident sich zunutze machen konnte.

"No hay mal que por bien no venga" sagt ein spanisches Sprichwort - "Es gibt nichts Schlechtes, was sich nicht zum Guten wendet". Die unerwartete Niederlage hat Präsident Santos dazu gebracht, dem gegnerischen Lager einen Dialog anzubieten. Und Uribe hat sich nur zu gern entgegenkommend präsentiert. Das ist nicht frei von Eigennutz, aber es ist ein vielversprechender Anfang - zumal auch die Guerilla angekündigt hat, sich weiter an den Waffenstillstand zu halten. Der Bürgerkrieg kann nicht beendet werden, ohne die nationale Spaltung zu überwinden. Nachverhandlungen zum Friedensabkommen werden zäh und schwierig sein, vor allem auch langwierig. Trotz aller Enttäuschung über den Ausgang des Plebiszits muss die internationale Gemeinschaft Kolumbien auf diesem mühseligen Weg weiter unterstützen. Denn es gibt noch Hoffnung auf den Frieden.

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Uta Thofern Leiterin Lateinamerika-Redaktionen, Schwerpunkt Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte
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