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Politik

EU will balkanisch werden - echt jetzt?

6. Februar 2018

Versprochen ist versprochen. Schon vor 15 Jahren wurde den Westbalkanländern die Aufnahme in die EU-Familie offeriert. Das war damals schon ambitioniert, inzwischen ist es geradezu tollkühn, meint Volker Wagener.

Bild: picture-alliance/Photoshot/Qian Yi

Das nennt man wohl ein echtes Dilemma. Objektiv sind die sechs Europa-Kandidaten im EU-Wartezimmer von Brüssels viel gelobten Standards so weit weg wie ein deutscher Dieselmotor von den Abgas-Obergrenzen. Doch zu warten, bis das halbe Dutzend Klein- und Kleinststaaten auf EU-Norm ist, käme einem Geschenk an die Chinesen gleich. Die fragen nicht nach Rechtsstaatlichkeit, stören sich nicht an Korruption - sie investieren und kreditieren den Balkan, der in Westeuropa, allein schon vom Namen her kontaminiert ist, mit vollen Händen. Doch dazu später.         

Die ganze Region ein Pulverfass

Allein schon die Tatsache, dass "der Chinese" auf dem Balkan schon angekommen ist, erklärt, warum die EU ihre einstige Marschroute einfach über Bord wirft. Denn nach der eiligen Aufnahme Bulgariens und Rumäniens 2007 gelobte sie, in Zukunft nicht mehr in die Breite erweitern zu wollen, sondern in die Tiefe. Zunächst sollten die Beziehungen zu den neuen Ost-Mitgliedern ausgebaut werden. Dieser Tenor muss wohl vergessen worden sein. "Mit einem starken politischen Willen, der Umsetzung von Reformen", schreibt die Kommission heute, sollten Serbien und Montenegro bis 2025 EU-kompatibel sein. Ein frommer Wunsch, wenn nicht sogar ein naiver.

Faktum ist doch folgendes: Bei Lichte betrachtet ist der Westbalkan in fast jeder Hinsicht ein Tollhaus - zumindest aus Brüsseler Perspektive. Serbiens Verhältnis zum Kosovo kommt einem erkalteten Krieg gleich, in der Republika Srpska mischt Belgrad kaum verdeckt fleißig mit und destabilisiert damit den mit Abstand fragilsten Staat der Region, Bosnien und Herzegowina. Mazedonien zankt mit Griechenland, um genau diesen Namen tragen zu dürfen und in fast allen Balkanrepubliken feiern Nationalismus und Korruption fröhliche Urständ. Und ausgerechnet hier will die EU in wenigen Jahren schon die blau-gelbe Europafahne wehen lassen. Ganz schön tollkühn.       

China kreditiert und baut, die EU stellt Forderungen

Doch sie muss wohl, denn wenn die "unartigen" Kinder am Rande Europas nicht Mitglied der Brüsseler Firma werden, laufen diese wohl demnächst in eine andere Richtung. Nach Osten nämlich. Sogar gen fernen Osten.

DW-Redakteur Volker Wagener

China stellt keine Forderungen nach Rechtsstaatlichkeit, lächelt über Demokratiedefizite, über die EU-Bürokraten fleißig Buch führen und rituelle Tadel aussprechen. China schafft Fakten. Baut Brücken und Stahlwerke in Serbien, Flughäfen in Albanien, Autofabriken in Ungarn und Häfen in Griechenland. Als Lohn für solch rasant schnell umgesetzte Investments will Peking mehr als ein devotes Dankeschön: Es erwartet politische Dankbarkeit. Kurz: Kredite für und Bauprojekte an der Ostflanke der EU - auch einer erweiterten künftigen - lassen Peking schon jetzt in die Union hineinregieren.

Der politische Einfluss macht sich bereits bemerkbar. In den Visegrad-Staaten wird Pekings autoritärer Stil gelobt. Mit Brüsseler Belehrungen an die Adresse in Prag oder Budapest verschont Peking seine "kleinen Partner". Aus Sicht der Empfänger ist die Rechnung ganz einfach: China liefert schnell und ohne demokratische Vorbedingungen, es schafft Fakten. Brüssel ist hingegen viel zu langsam und oberlehrerhaft.              

Die EU auf der Suche nach Perspektiven mitten in der Krise

Die Brüsseler Kommission hat demnach gute Gründe, das Engagement des Reichs der Mitte im Vorgarten der EU zu fürchten. China sieht in Ost- und Südosteuropa einen Rangierbahnhof seiner neuen Seidenstraße. Das kann nicht im Interesse der Europäer sein. Doch die Integrationsbemühungen der EU um seine unartigen Habenichtse aus europäisch Südost kommen mitten in der Krise. Polen, Ungarn, Tschechen und Slowaken formieren sich längst zu einer Contra-Brüssel-Fraktion innerhalb EU. Sie sind außerdem wachstumsstark, was von den Neuen weiter südlich nicht behauptet werden kann. Integration aber hat viel mit wirtschaftlicher Angleichung zu tun. Das "Projekt sechs neue EU-Familienmitglieder" bleibt deshalb eine Illusion - vorerst.

Daran ändert sich auch nichts, wenn in steter Regelmäßigkeit Demokratie und Rechtsstaatlichkeit angemahnt wird. Im Westen wird immer wieder vergessen, dass in besagten Ländern immer noch die Generation am Schalthebel sitzt, die im Kommunismus groß geworden ist. Bekanntlich wurde der durch eine Ära des Nationalismus abgelöst, der in weiten Teilen immer noch bestimmend ist. EU-Alt und die EU-Neu in spe gehören sicher zusammen, allein sie passen noch nicht zueinander.

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