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Politik

Europas Guantanamo

18. Februar 2019

Wohin mit den gefangenen IS-Dschihadisten in Syrien? Der erpresserische Tweet von US-Präsident Donald Trump zwingt die Europäer, sich mit ihnen auseinanderzusetzen. Höchste Zeit, meint Matthias von Hein.

Bild: Reuters/G. Tomasevic

Typisch Trump: schlecht im Stil (per Twitter!) und sprachlich die Grenze zur Erpressung überschreitend. Doch ob es einem gefällt oder nicht: Inhaltlich ist etwas dran an der Aufforderung an die Staaten Europas, sich endlich um die in kurdische Gefangenschaft geratenen IS-Kämpfer aus ihren Ländern zu kümmern.

Donald Trump hat damit das Gewicht des Weißen Hauses hinter eine seit langem von kurdischer Seite vorgebrachte Forderung geworfen - eine Forderung, die geflissentlich ignoriert wurde, solange sie eben nur aus dem Norden Syriens kam. Dort sitzen Hunderte ehemalige IS-Kämpfer aus Europa in Gefängnissen. In Lagern sehen dort Hunderte Frauen aus Deutschland, Frankreich, England einer ungewissen Zukunft entgegen - oft mit Kindern, die im IS-Gebiet geboren wurden. Und nach dem Fall der letzten IS-Stellungen in Baghuz dürfte ihre Zahl noch weiter ansteigen.

Überforderte Kurden

Die Kurden fühlen sich mit der Last dieser Gefangenen überfordert. Um so mehr, als der von Donald Trump im Dezember angekündigte Abzug des US-Militärs sie vor ganz andere, existenziellere Fragen stellt. Schließlich rasselt nördlich der Grenze der türkische Präsident Erdogan vernehmlich mit dem Säbel. Den wichtigsten militärischen Partner der USA, die kurdischen "Volksbefreiungskräfte" YPG,  betrachtet Erdogan als Terrororganisation. Dem Experiment kurdischer Selbstständigkeit unter eben dieser YPG  in Syrien will er schnellstmöglich ein Ende machen.

DW-Redakteur Matthias von Hein

Sobald der Abzug der Amerikaner dem türkischen Militär den Weg freimacht, will Erdogan einen 30 Kilometer breiten Sicherheitskorridor entlang der Grenze auf syrischem Gebiet einrichten. In diesem Korridor aber liegen die wichtigsten Siedlungen der Kurden - und auch die Gefangenenlager. Wenn die Kurden um ihr Überleben kämpfen, haben sie sicher andere Sorgen als sich um die IS-Gefangenen zu kümmern.

Das Problem der gefangenen IS-Kämpfer ist lange bekannt. Doch mit der Ankündigung des US-Abzugs hat es massiv an Dringlichkeit gewonnen. Aber anstatt offensiv nach einer Lösung zu suchen, vielleicht auch auf europäischer Ebene, versteckt sich Deutschland in dieser Frage bislang hinter Formalia. In der Hoffnung, das Problem werde sich vielleicht irgendwie von selbst erledigen, zog sich das Außenministerium auf die bequeme Position zurück, seit der Schließung der deutschen Botschaft in Damaskus 2012 sei in Syrien keine konsularische Betreuung möglich. Und zu den Kurden Nordsyriens unterhalte man gar keine offiziellen Beziehungen.

Menschen, die niemand will

Natürlich hat kein Staat Interesse daran, Dutzende IS-Dschihadisten aufzunehmen. Aber diese Leute sind nun einmal da. Und weil wir ein Rechtsstaat sind, haben auch deutsche Anhänger einer Terrormiliz Rechte - auch wenn das schwer erträglich ist. Dazu gehört ein Recht auf Rückkehr. Und jeder einzelnen Person muss individuelle Schuld nachgewiesen werden, um ihn oder sie hinter Gitter zu bringen. Das wird manchmal einfacher sein, etwa wenn jemand in Propagandavideos aufgetreten ist. Manchmal wird es schwerer, vor allem bei den Frauen. Vielleicht lassen sich einzelne desillusionierte Ex-Dschihadisten als Kronzeugen gewinnen.

Aber unter dem Strich bleibt: Diese Menschen kommen aus der Mitte unserer Gesellschaft, haben sich hier radikalisiert. Wir müssen mit ihnen umgehen. Vielleicht auch kreativ: Wie war das mit dem Vorschlag, die Angehörigen der Terrormiliz in den Haag vor den Internationalen Strafgerichtshof zu stellen? Nur eines steht fest: Nordsyrien kann nicht Europas Guantanamo bleiben.