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Fragen über Fragen in der Flüchtlingsdebatte

Zhang Danhong Kommentarbild App
Danhong Zhang
5. Mai 2016

Was hat es mit der deutschen Hilfsbereitschaft für Flüchtlinge auf sich? Ist es wohl kalkulierter Humanismus oder Selbstüberforderung wegen der eigenen Geschichte? Und Zhang Danhong stellt weitere wichtige Fragen.

Bild: Getty Images/J. Simon

Als Journalistin habe ich eine Zwangsneurose, was die Informationsaufnahme anbetrifft. So haben mich die Medien gezwungen, mich mit Dschaisch al-Fatah, Al-Nusra-Front, Hisbollah oder YPG auseinanderzusetzen. Das sind die Milizengruppen, die seit über fünf Jahren in Syrien einen Stellvertreterkrieg führen. Deutschland ist nicht direkt beteiligt. Von dem Gemetzel sind wir 3000 Kilometer entfernt. Warum muss ausgerechnet Deutschland zur zweiten Heimat für viele syrische Flüchtlinge werden?

Die Frage ist keine Kritik an der deutschen Hilfsbereitschaft. Ich will bloß verstehen, woher diese Selbstverständlichkeit kommt, nach der sich andere militärisch einmischen und Deutschland die Konsequenzen trägt? Und woher die USA die Unverfrorenheit besitzen, voller Stolz und frei von Zynismus die Aufnahme von 10.000 Syrern in diesem Jahr zu verkünden, wo sie das Chaos doch mit verursacht haben? Warum ermutigt die Bundeskanzlerin den US-Präsidenten nicht, sich ebenfalls "auf die richtige Seite der Geschichte" zu stellen?

Auslöserprinzip gilt nicht in der Flüchtlingsfrage?

Ich kann Frau Merkel gut verstehen, dass sie es nicht übers Herz brachte, Obama gegenüber unangenehme Themen anzusprechen, wo sie doch so von ihm umschmeichelt wurde. Stattdessen lobt sie lieber die Türkei und den Libanon, die mehr Menschen aus Syrien Schutz geboten haben als Deutschland. Für die Kritiker ihrer Flüchtlingspolitik heißt das: Stellt Euch nicht so an.

Ich finde, dieser Vergleich hinkt. Wenn irgendwo ein Krieg ausbricht, sind natürlich in erster Linie die Nachbarn betroffen und in der Pflicht, zu helfen. Im günstigsten Fall teilt man dieselbe Sprache und Kultur. Die Frage der Integration stellt sich höchstens wirtschaftlich. Und nach dem Krieg ist es für die Flüchtlinge ein kurzer Weg nach Hause. Aber längst nicht alle Länder in der Region zeigen sich solidarisch mit dem syrischen Volk. Saudi-Arabien beispielsweise will niemand aufnehmen, aber stattdessen Geld für 200 Moscheen in Deutschland spenden. Auch das meinen die Saudis nicht mal zynisch. Aber warum werden sie von keinem der westlichen Verbündeten zur Lastenteilung gedrängt, zumal sie, ähnlich wie die Amerikaner, mehr Unruhe als Frieden gestiftet haben?

DW-Redakteurin Zhang Danhong

Wohl kalkulierter Humanismus?

Gegen dieses ganze Machtkalkül und den Egoismus heben sich die Deutschen wohltuend ab. Rund 90 Prozent der Deutschen sind der Meinung, dass Menschen in Not ohne Wenn und Aber geholfen werden muss. Dass aber im vergangenen Jahr neben Syrern auch Hunderttausende anderer Nationalitäten nach Deutschland gekommen sind, könnte man zynisch als "Kolateral-Gewinn" verbuchen. Denn von Anfang an versuchten Teile der Politik und Wissenschaft, den Deutschen weis zu machen, dass die Flüchtlinge der Schlüssel zur Überwindung ihres demographischen Problems seien. So erfuhr ich erst dadurch, dass das deutsche Rentensystem angeblich kurz vor dem Kollaps stehe.

Nun zerbricht sich die ganze Nation in unendlichen Talkshows den Kopf darüber, wie die gut eine Million Flüchtlinge auf dem Arbeitsmarkt und in der Gesellschaft integriert werden können. Es wird so getan, als ob es sich bei der Flüchtlingswelle 2015 um eine historisch einmalige Situation handele. Aber allein durch den Familiennachzug rechnen die Behörden in den kommenden Jahren mit weiteren drei Millionen. Und Viele warten längst an der Südküste des Mittelmeers.

Integrationsgesetz - eine Beruhigungspille?

Um die Menschen zu beruhigen, hat die Koalition gerade ein Integrationsgesetz beschlossen. Bei genauem Hinsehen besteht es aus lauter Selbstverständlichkeiten. Zum Beispiel muss, wer in Deutschland leben will, die deutsche Sprache erlernen oder sich um eine Arbeit bemühen. Da fragt man sich: War das bisher nicht so? Wenn das Selbstverständliche bisher nicht galt, dann kann von einer Erfolgsgeschichte der Zuwanderung in Deutschland wohl nicht die Rede sein. Die somalischstämmige Aktivistin Ayaan Hirsi Ali stellt in der FAZ der Integration muslimischer Einwanderung in Europa ein erschütterndes Zeugnis aus: "In Schulen, Seminaren und Moscheen wird jungen Leuten mit Migrationshintergrund eine Verachtung all der Freiheitsrechte eingeimpft, die als Grundwerte des Kontinents gelten."

Warum hüten sich die etablierten Parteien und Medien vor einer kritischen Auseinandersetzung mit dem Islam und überlassen sie einigen wenigen Muslimen, die teilweise um ihr Leben fürchten müssen? Warum wird die "Religionskritik neu definiert, wenn es um den Islam geht?", fragt die türkisch-kurdischstämmige Autorin Seyran Ates in der Wochenzeitung "Die Zeit".

Deutschland braucht eine sachliche Debatte über den politischen Islam und darüber, wo die Grenze unserer Aufnahme- und Integrationsfähigkeit liegt. Wäre es nicht ehrlicher, das Asylrecht der neuen Realität anzupassen, statt ein Land nach dem anderen zum sicheren Herkunftsland zu erklären?

Selbstüberforderung wegen der Geschichte?

Damit tun sich die Deutschen schwer, weil das individuelle Asylrecht für politisch Verfolgte als eine entschiedene Absetzung von der Nazi-Diktatur verstanden werden soll. Aber wenn Deutschland eine Lehre aus der Geschichte ziehen muss, dann ist es doch die, dass der deutsche Sonderweg immer Unheil über Europa gebracht hat. Das Asylrecht war bereits "im Wortsinn ein Sonderweg", schreibt Heinrich August Winkler in "Der Zeit". Die deutsche Flüchtlingspolitik stelle ebenfalls einen Sonderweg dar, bescheinigt Jürgen Kocka in der "Neuen Gesellschaft Frankfurter Hefte": "Sie fußt auf einsamen deutschen Entscheidungen, deren Folgen durch Quotenverteilung europäisiert werden sollen."

Die Frage ist letztendlich: Wollen die Deutschen aufgrund ihrer Geschichte konsequent einen Sonderweg gehen oder "kann es sein, dass Deutschland die Stabilität seiner Gesellschaft aufs Spiel setzt für die Wiedergutmachung der Kriegsschuld?", so der niederländische Soziologe René Cuperus in der "Süddeutschen Zeitung".

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