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Fragwürdiges Urteil, fragwürdige Justiz

DW Kommentarbild | Autor Kersten Knipp
Kersten Knipp
18. Juni 2016

Der ehemalige ägyptische Präsident Mohammed Mursi ist von einem Gericht zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Das Urteil offenbart einmal mehr den intransparenten Charakter der ägyptischen Justiz, meint Kersten Knipp.

Bild: picture-alliance/dpa/M. Hossam

Sein Leben verdankt er wohl vor allem seiner Popularität. Gegen sechs von zehn seiner Mitangeklagten hatte ein ägyptisches Strafgericht Anfang Mai dieses Jahres bereits das Todesurteil verhängt. Das Urteil gegen Mursi wurde auf den 18. Juni vertagt. Genug Zeit für die Richter, um in sich zu gehen. Genug Zeit wohl auch, um die politischen Folgen eines Todesurteils zu bedenken.

Zwar ist die Muslimbruderschaft nach Jahren der Verfolgung und härtesten Urteilen geschwächt. Ein Todesurteil gegen ihr prominentestes Mitglied könnte zumindest einen Teil seiner Anhänger zusätzlich gegen den Staat aufbringen, die ohnehin grassierende Gewalt weiter anstacheln und das Land noch unsicherer werden lassen - mit Folgen auch für die Wirtschaft des darbenden Landes.

"Jeder deckt jeden"

Zumindest theoretisch finden auch in die ägyptische Justiz politische Erwägungen keinen Eingang. Doch die Vehemenz, mit der ägyptische Gerichte in den letzten Jahren härteste Urteile - darunter hunderte von Todesurteilen - gegen Mitglieder der Muslimbrüder verhängt haben, legt einen anderen Schluss nahe. "Das Strafjustizwesen fungierte 2015 weiterhin als Werkzeug staatlicher Unterdrückung", schreibt die Menschenrechtsorganisation Amnesty International in ihrem Jahresbericht 2015. Sie moniert unter anderem Massenprozesse, Verurteilungen von Zivilisten durch Militärgerichte, eine willkürlichen Auslegung des Antiterror- und des Demonstrationsrechts.

Derzeit sitzen Menschenrechtler, Journalisten, Autoren und ganz normale Bürger in Haft. Aus Sorge vor Repressalien tragen sich immer mehr Journalisten mit dem Gedanken, das Land zu verlassen. Als im April ägyptische Bürger gegen den geplanten Verkauf zweier unbewohnter Inseln im Roten Meer an Saudi-Arabien demonstrierten, wurden hunderte von ihnen verhaftet, einige Amnesty International zufolge bereits vor den Protesten. Häftlinge werden geschlagen und gefoltert, mit wenigen Chancen, sich wehren zu können. "Jeder deckt jeden" umschreibt Amnesty International die Praxis der Wärter in ägyptischen Haftanstalten.

DW-Autor Kersten Knipp

Es ist dies das Klima, in dem nun auch das Urteil gegen Mursi gefällt wurde. Es ist nicht der erste Prozess, in dem der ehemalige Präsident des Landes sich verantworten muss. So warf ein Gericht ihm und anderen Muslimbrüdern Hochverrat vor: Seine Organisation hätte ein geheimes Bündnis mit der Hamas, Iran und der Hisbollah unterhalten und Militärgeheimnisse verraten. Auf diese Weise hätten die Verschwörer die Stabilität des Landes untergraben wollen. In dem heute zu Ende gegangenen Prozess wurde ihm vorgeworfen, Staatsgeheimnisse an das Emirat Katar verraten zu haben. Welche Geheimnisse das im Einzelnen sind, teilte das Gericht nicht mit.

Justiz verspielt Vertrauen

Sicher: Ägypten ist derzeit durch den Dschihadismus von Terrorbanden wie dem "Islamischen Staat" auf das äußerste herausgefordert. Doch das kann kein Grund sein, die Justiz auf eine Weise gewähren zu lassen, die den Geruch von Willkür einfach nicht los wird

Das gilt auch für die Prozesse gegen Mursi. Der ist gewiss kein Demokrat. Und womöglich blieb den Ägyptern durch seinen Sturz die beklemmende Enge eines islamistischen Staats erspart. Aber das rechtfertigt nicht die vielen nicht nachvollziehbaren Urteile, weder gegen Mursi und andere Muslimbrüder noch gegen andere Bürger des Landes. Die ägyptische Justiz verspielt das Vertrauen der Weltöffentlichkeit.


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Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika
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