Kommentar: Freispruch, kein Persilschein
1. März 2013 Nun ist auch ein Serbe in Den Haag freigesprochen worden! Dieser Freispruch passt gut in eine ganze Reihe ähnlicher Urteile: Der frühere Rebellenchef der Kosovo-Albaner, Ramush Haradinaj, war wegen Gräueltaten an Serben im Bürgerkrieg 1998/99 angeklagt. Ende November 2012 wurde er vom UN-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag zum zweiten Mal freigesprochen. Wenige Wochen zuvor gab es den Freispruch für zwei kroatische Militärs, Ante Gotovina und Mladen Markač, die in der erster Instanz zu 24 und 18 Jahren Haft verurteilt worden waren. Den beiden Ex-Generälen wurde vorgeworfen, für den Tod von Zivilisten und Soldaten verantwortlich zu sein, die sich bereits ergeben hatten, sowie 1995 eine große Zahl der Serben vertrieben zu haben.
Am Prinzip, rechtskräftige Urteile akzeptieren zu müssen, soll man mangels besserer Alternativen nicht rütteln. Es ist jedoch für jeden denkenden Menschen die Frage erlaubt: Warum lagen diese Urteile der ersten Instanz so gewaltig daneben? Oder kann man die Urteile in der letzten Instanz als eine politische Korrektur der juristischen Strenge der ersten Instanz verstehen? Es ist auch erlaubt zu fragen, warum die "Handwerker des Krieges" unterschiedlicher Herkunft in jüngster Zeit so häufig davonkommen sind: Ist das UN-Kriegsverbrechertribunal für Ex-Jugoslawien überfordert? Ist es sogar nicht ganz unabhängig von politischen Interessen?
Auf dem westlichen Balkan kursieren diverse Verschwörungstheorien: Kroatien hätte mit einer bewiesenen Vertreibung und Ermordung der Serben, an der sogar die US-Berater mitgewirkt hätten, nicht in die EU gedurft, deshalb seien seine Generäle frei. Ein Verbündeter der NATO im Krieg gegen Belgrad sei der Rebellenchef Ramush Haradinaj gewesen - der Westen wolle sich nun nicht selbst infrage stellen. Und jetzt der Serbe Perišić?
Klar: Belgrad sei verärgert wegen so vieler Freisprüche, wenn es sich um Verbrechen an serbischen Opfern handele. Deshalb wirke der Freispruch für Perišić als Ausgleich am Vorabend der nächsten Runde der schwierigen Gespräche von Vertretern aus Serbien und Kosovo, das 2008 mit Unterstützung wichtiger westlicher Länder seine Unabhängigkeit von Belgrad erklärte. Darüber hinaus könne man die Vorwürfe Belgrads, das Tribunal sei einseitig anti-serbisch, mit einem freigesprochenen serbischen General leichter enkräften.
All das möchte man gerne glaube, es ist aber spekulativ. Die Fakten kann man vielleicht aus der Opferperspektive besser verstehen: Die freigesprochenen Herren sind verantwortlich für das Leiden der Zivilisten, das sie befohlen, geduldet oder in Kauf genommen haben. Sie waren durchaus mit unterschiedlichen Machtkompetenzen ausgestattet und befanden sich in unterschiedlichen Kriegssituationen, auffällig sind jedoch die Ähnlichkeiten. In ihrem militärischen Schatten starben Zivilisten, aber das Tribunal in Den Haag war nicht in der Lage ihre Schuld zu beweisen. Und zweitens: alle drei gelten in der eignen ethnischen Gruppe als Helden, für die anderen sind sie aber Reizfiguren.
Also: Den Haag hat auf diese Tatsachen keine Antwort. Weder juristisch noch moralisch. Die Nationalisten in Ex-Jugoslawien werden sich in ihrer ablehnenden Haltung gegenüber der internationalen Gerichtsbarkeit bestätigt fühlen. Die einheimischen Gerichte werden ungern das Fass aufmachen. Die Familien der Opfer werden noch größere Einsamkeit verspüren. In ihren Augen klaffen in Den Haag zunehmend Recht und Gerechtigkeit auseinander. Das ist eine gefährliche Entwicklung, denn überall auf dem westlichen Balkan sind die jüngeren Generationen mit dem Opfer- und Heldenmythos aus den Neunzigern und mit einem selbstverständlichen Nationalismus groß geworden. Sie denken bereits: No justice - no peace.