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Politik

Görlitz muss Folgen haben

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Kay-Alexander Scholz
16. Juni 2019

Im zweiten Wahlgang scheiterte die AfD, den ersten Oberbürgermeister-Posten zu besetzen. Dem sollten nun schnell Stunden der Besinnung folgen. Denn es bleiben einige Fragen offen, findet Kay-Alexander Scholz.

Bild: picture-alliance/dpa/S. Kahnert

"Gerade nochmal gut gegangen!" Das werden nun wohl viele in Deutschland sagen, nachdem ein Kandidat der AfD es - nicht - geschafft hat, das erste Rathaus für die AfD zu erobern. Allerdings fängt da auch schon das dicke "Aber" an - "gerade". Das Ergebnis ist relativ knapp, immerhin 45 Prozent wählten AfD.

Für dieses doch knappe Ergebnis mussten alle Kräfte gebündelt werden. Es bedurfte eines parteiübergreifenden Bündnisses, um Sebastian Wippel zu verhindern. Dazu gehörten die Erben der friedlichen Revolution bei der CDU wie auch die Erben der DDR-Diktatur in der Linkspartei. Dafür wurden Machtfragen über Grundüberzeugungen gestellt. Die CDU-Basis wird das nicht kalt lassen.

Doch bei dieser Wahl ging es nicht nur um die kommunale Ebene. Die Wahl in der östlichsten Stadt Deutschlands steht für ein noch größeres Dilemma.

Alle gegen einen?

Die AfD ist in einem weiten Gebiet rund um Görlitz auf kommunaler Ebene in Stadtparlamenten und Kreistagen seit kurzem die stärkste Kraft - gewählt für fünf Jahre. Das neue "AfD-Gebiet" zieht sich hoch bis nach Berlin und weiter an der polnischen Grenze bis zur Ostsee. Der Sieg des CDU-Kandidaten in Görlitz ändert wenig daran, dass die AfD auf dem Weg ist, im Osten Volkspartei mit Werten zwischen 20 und 30 Prozent zu werden.

DW-Redakteur Kay-Alexander Scholz

Bei den anstehenden Landtagswahlen im Herbst wird die AfD wohl in zwei Bundesländern stärkste Kraft werden. Damit überhaupt eine Regierung gegen die AfD gebildet werden kann, müssen sich dann drei oder vier Partner zusammenfinden. So wie das jetzt in Görlitz passiert ist. Dass die CDU auch mit der Linkspartei zusammenarbeiten könnte, deutet sich schon an.

Unter denen im Osten, die noch die DDR erlebten, macht deshalb schon der abschätzige Begriff "Blockparteien" wieder die Runde. In der DDR waren das ein paar Placebo-Parteien ohne eigenes Profil, um den Anschein von Demokratie in der Diktatur zu wahren. Das Sagen hatte die Mehrheitspartei, die SED. Auch wenn dieser historische Vergleich falsch ist, weist er doch auf eine alarmierende Distanz zwischen Bürgern und Parteien hin.

Ziel nach den Landtagswahlen wird es sein, die AfD zu verhindern. Das heißt aber auch, die nach jetzigem Stand dann stärkste politische Kraft zu übergehen. Das wirft die Frage auf, was dem alten demokratischen Prinzip, der Stärkste gewinnt oder lädt zu Koalitionen ein, dann eigentlich folgen soll?

Weitere Polarisierung vermeiden

Andere Fragen kommen hinzu. Was ist mit dem Wettstreit der Parteien entlang ihrer Profile, wenn diese ihre eigenen Ziele oder Kandidaten zurückstellen, um etwas oder jemanden zu verhindern? Ist das dann noch ein fairer Meinungswettstreit?

Hier beginnt das andere große "Aber" aus dem Anfangssatz. Nach dem "gerade" steht das "gut". Kann das so auf lange Sicht hin "gut" gehen? Besteht nicht die Gefahr, dass Wahlen an sich in Frage gestellt werden und an Legitimität verlieren? Wenn zum Beispiel, den Vorschlag gab es kürzlich, so lange gewählt werden soll, bis das Ergebnis bestimmten Parteien passt?

Natürlich hat Deutschland eine besondere historische Verantwortung: Nie wieder Faschismus, nie wieder Diktatur! Müsste aber nicht gerade deshalb allen daran gelegen sein, eine quicklebendige Demokratie zu pflegen? Wer, wie in der politischen Auseinandersetzung gerade leider öfter zu beobachten ist, die Welt in "gut" und "böse" einteilt, geht jedoch in die falsche Richtung. Diese Dichotomie erinnert an alte deutsche Märchen. Es scheint eine Schwäche der Deutschen zu sein, daraus eine politische Romantik zu entwickeln. Doch wo zu viel Emotion und zu wenig kühler Kopf, da fehlen dann die Zwischentöne und die Lust auf Kompromisse. Stattdessen kommt es zu Polarisierung und verfeindeten Lagern. So schwindet der Glaube an die Kraft der demokratischen Politik.

Neue Ansätze sind gefragt

Das "gute" Ergebnis von Görlitz täuscht nicht über das politische Beben hinweg, das das politisch lange so stabile Deutschland gerade erlebt. Damit ist nicht nur die AfD gemeint, sondern auch die Schwäche der Traditionsparteien SPD und CDU und der schon fast märchenhafte Aufstieg der Grünen. Im Sinne der Demokratie braucht es deshalb mutige Politiker, die neue Wege denken und beschreiten.

Wie wäre es zum Beispiel mit wirklichen Diskussionen über Fehler und Visionen? Fehler und Versäumnisse wie die, dass Görlitz bis heute weder per Bahn oder Flugzeug vernünftig zu erreichen ist. Für die angebliche "Europa-Stadt" ist das ein Armutszeugnis. Warum wurde im Wahlkampf kaum über Visionen gesprochen, wie die Stadt im Dreiländereck mit Polen und Tschechien etwas wirklich länderübergreifend Neues gestalten könnten? Dass nun ein CDU-Kandidat mit rumänischen Wurzeln gewonnen hat, könnte eine solche echte weltgewandte Diskussion vielleicht provozieren.

Oder wie wäre es mit einer Renaissance der Sachpolitik? Drängende Probleme gibt es genug. Wenn man diese in den Mittelpunkt stellen würde, könnte das der Polarisierung Energie rauben. Dänemark versucht es deshalb mit einer Minderheitsregierung. Warum nicht? In Deutschland könnte das vielleicht politische Gräben wieder zuschütten helfen, die sich quer durch das Land ziehen - bis nach Görlitz.

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