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Politik

General Radew und das hysterische Bulgarien

14. November 2016

Die Regierung Borissow ist zurückgetreten, weil der Oppositionskandidat Rumen Radew die Präsidentenwahl gewonnen hat. Bulgarien verliert seine Stabilität und steht vor einem unruhigen Winter, meint Alexander Andreev.

Der frühere Chef der bulgarischen Luftwaffe, Rumen Radew, beim Verlassen der Wahlkabine am SonntagBild: Reuters/S. Nenov

Eigentlich hat die Europäische Union schon genug Probleme, braucht also gewiss kein weiteres. Aber an der fragilen Außengrenze zur Türkei entsteht mit der Wahl von Ex-General Rumen Radew zum neuen bulgarischen Staatspräsidenten genau dies. Nicht, weil das künftige Staatsoberhaupt ein Freund Russlands ist, sondern weil das Land in den kommenden Monaten faktisch ohne Regierung sein wird. Und als Person ist Radew deswegen problematisch, weil mit ihm ein unerfahrener, nationalistisch orientierter Präsident an die Spitze des Landes rückt, der politisch bislang einen eher farb- und hilflosen Eindruck macht.

Die Regierung von Boiko Borissow, dessen Partei GERB der Europäischen Volkspartei angehört, ist am Montag vormittag zurückgetreten, weil die eigene Präsidentschaftskandidatin Zezka Zatschewa von Radew haushoch besiegt wurde. Borissow hatte diesen Rücktritt seit Wochen angekündigt. Eigentlich wollte er mit dieser Drohung GERB-Wähler mobilisieren. Doch die Unpopularität und Ideenlosigkeit von Zatschewa auszugleichen, ist ihm offenkundig nicht gelungen. Nun schnappte die selbst gestellte Falle zu und er musste seine Ankündigung wahr machen.

Näher an Orban und Kaczynski als an Putin

Westliche Beobachter haben mehrfach davor gewarnt, dass Radew eine pro-russische Politik betreiben werde. Diese Einschätzung beruht vor allem darauf, dass Radew von der traditionell pro-russischen Sozialistischen Partei nominiert wurde und weil er sich für die Zugehörigkeit der Krim zu Russland ausgesprochen hat. Dieser Eindruck ist aber falsch: Die politisch naiven Aussagen des Ex-Generals über die Annexion der Krim und die Notwendigkeit, die Sanktionen gegen Russland aufzuheben, sind in erster Linie durch seine politische Unerfahrenheit zu erklären. Leute, die ihn gut kennen, betonen, dass der zum Teil in den USA ausgebildete, frühere NATO-General Radew keine Pläne hat, das EU- und NATO-Mitglied Bulgarien geopolitisch neu zu verorten.

Alexander Andreev leitet die Bulgarische Redaktion der DW und ist derzeit als Korrespondent in Sofia

Die Gefahr, die von Radew ausgeht, ist eine ganz andere: Wie die meisten Offiziere im Land ist er ein strammer Nationalist, der die traditionellen bulgarischen Vorurteile gegenüber dem NATO-Partner und großen Nachbarn Türkei pflegt. Hinzu kommt, dass in Bulgarien derzeit aufgrund der Flüchlingsthematik und der Nachbarschaft zur Türkei geradezu eine Massenhysterie herrscht. Neun von zehn Bulgaren befürchten, dass Erdogan bald "die Schleusen öffnen" und das Land mit Zehntausenden von (in Bulgarien sehr unbeliebten) Muslimen aus dem arabischen Raum überfluten werde.

Die Ultranationalisten, die eine erschreckend fremdenfeindliche und aggressive Kampagne gegen Flüchtlinge und Migranten geführt haben, erreichten nicht von ungefähr über 17 Prozent der Stimmen beim ersten Wahlgang vor einer Woche. In dieser Lage erschien Radew der Mehrheit der Wähler genau der Richtige zu sein: ein Ex-General mit starker Hand, der die Grenzen abriegeln und der Türkei notfalls die Stirn bieten wird. Der bulgarische Präsident, der auf die Tagespolitik nur wenig Einfluss nehmen kann, wird sich also eher an Viktor Orbán und Jaroslaw Kaczyński orientieren und Bulgarien in Richtung Visegrád-Staaten führen. Hierfür kann er besonders die Zeit nutzen, in der das Land keine gewählte Regierung hat.

Alles ein zynischer Plan?

Es wird mehrere Monate dauern, bis eine vorgezogene Parlamentswahl stattfinden kann, da der scheidende Präsident Rossen Plewneliew entsprechend der Verfassung so kurz vor seinem Ausscheiden keine Neuwahlen mehr anberaumen kann. So lange wird aus der bisherigen Minderheitsregierung Borissow eine geschäftsführende Minderheitsregierung Borissow - Stabilität geht anders. Hinzu kommt: Der Winter steht vor der Tür, die Zeit der hohen Strom- und Heizungsrechnungen, die die Bulgaren sehr oft auf die Straße treibt. Vielleicht steckt dahinter ein zynischer Plan von Borissow: die Menschen einige Monate Unsicherheiten und Ängsten auszusetzen, damit er dann im kommenden Jahr triumphal die Neuwahl gewinnen kann.

Falls es diesen Plan geben sollte, ist er mehr als gefährlich. Denn die Mischung aus Angst, Unsicherheit, Fremdenfeindlichkeit, gefühlter Armut und der Überzeugung, von Europa vergessen zu sein, gekoppelt mit den zu erwartenden, nationalistisch dominierten Massenprotesten, ist äußerst explosiv. Und das direkt an der sensiblen Grenze zwischen der Türkei und der krisengeschüttelten EU - Europa hat jetzt noch ein Problem mehr.

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