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Politik

Deutschland muss sich entscheiden

Ines Pohl Kommentarbild App
Ines Pohl
18. April 2018

Mitten am Tag in Berlin: Ein junger Araber zieht seinen Gürtel und schlägt auf einen die Kippa tragenden Mann ein. DW-Chefredakteurin Ines Pohl ist wütend und sorgt sich, wie es weitergehen wird in unserem Land.

Bild: picture-alliance/dpa

Es ist trauriger Alltag geworden, dass im Internet Videos auftauchen, die antisemitische Ausfälle in Deutschland dokumentieren. Mal ist es eine israelische Fahne, die verbrannt wird, mal ein Mann, der den Besitzer eines jüdischen Restaurants beschimpft, dabei von Gaskammern spricht. Jedes mal lösen sie eine Welle der Empörung aus. Politiker versprechen, alles zu tun, um Juden in Deutschland zu schützen. Verweisen auf die Geschichte, die Verantwortung, setzen noch einen Beauftragten ein, verkünden Bildungsinitiativen. Und reden von den komplexen Herausforderungen, die es gibt in diesem Land, das erst jetzt und viel zu spät offiziell anerkennt, dass es längst ein Einwanderungsland ist.

Eine furchtlose Selbstverständlichkeit von Hass

Das aktuelle Video belegt brutal, dass all das nicht reichen wird, um der furchtlosen Selbstverständlichkeit etwas entgegenzusetzen, mit der Menschen wie dieser junge Mann ihrem Hass auf Juden freien Lauf lassen: Im Herzen Berlins, auf einem belebten Platz und am helllichten Tag prügelt ein junger Araber auf einen jungen Mann ein, der eine Kippa trägt und sich damit als vermeintlicher Jude zu erkennen gibt. Es ist kalter Hass, der aus seinem Gesicht spricht, während er seinen Gürtel zieht. Er ist nicht vermummt. Im Gegenteil - er weiß, dass er gefilmt wird, das Opfer hält ihm die Handykamera vors Gesicht. Ruft immer wieder deutlich: "Ich filme, ich filme!" Dem Täter ist es ganz offensichtlich egal, dass seine Tat dokumentiert wird, dass er erkannt und die Polizei ihn mit großer Wahrscheinlichkeit ausfindig machen wird.

DW-Chefredakteurin Ines PohlBild: DW/P. Böll

Was passiert da gerade in Deutschland? Dieses Video ist ein erschütternder Beleg dafür, dass die deutsche Gesellschaft dringend neue Antworten finden muss, um die Grundregeln unseres Zusammenlebens zu bewahren. Die gängigen Bestrafungen scheinen nicht auszureichen, um solche Täter abzuschrecken.

Vielleicht hilft ein Blick auf die Schulhöfe, um zu verstehen, wo wir stehen. Lehrerinnen und Lehrer versuchen seit Jahren, die Öffentlichkeit dafür zu sensibilisieren, wie selbstverständlich es inzwischen geworden ist, dass Jugendliche sich gegenseitig als "Jude" beschimpfen. Auch der Blick auf deutsche Rap-Texte belegt, dass zunehmend der gesellschaftliche Konsens aufgekündigt wird, dass judenfeindliche Äußerungen in diesem Land nichts zu suchen haben. Und diese unter gar keinen Umständen zu relativieren und damit zu akzeptieren sind.

Will Deutschland für seine Werte und Freiheiten kämpfen?

Es wäre falsch zu sagen, dass ein Jude heute davon ausgehen muss, auf deutschen Straßen angegriffen zu werden, wenn seine Religionszugehörigkeit sichtbar ist. Es ist aber genau so falsch zu sagen, ein Jude müsse grundsätzlich nicht befürchten, dass er auf deutschen Straßen angegriffen wird, sobald seine Religion sichtbar ist.

Und richtig ist auf jeden Fall, dass die bestehenden Instrumente nicht mehr ausreichen. Deutschland ist an einem Punkt angekommen, an dem es sich entscheiden muss, wie klar es für seine zivilisatorischen Werte und für seine gesellschaftlichen Freiheiten kämpfen will.

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