Gratulation an das Volk von Tunesien!
Angela Merkel hätte diesen Preis genauso verdient wie der Papst oder der inhaftierte saudische Aktivist Raif Badawi. Stattdessen hat uns das Nobelpreis-Komitee wieder mit einem Preisträger überrascht, mit dem kaum jemand gerechnet hatte: Der Friedensnobelpreis geht an das "Quartett für den Nationalen Dialog" in Tunesien. Ausgezeichnet werden dessen Verdienste darum, eine pluralistische Demokratie nach der Jasmin-Revolution zu entwickeln - der ersten und einzigen Revolution des Arabischen Frühlings, die nicht an Chaos, Krieg oder neuer Unterdrückung gescheitert ist.
So unerwartet die Preisvergabe auch ist, eine Verlegenheitslösung ist sie nicht. Denn ausgezeichnet werden faktisch nicht nur die Menschenrechtsaktivisten, Anwälte, Arbeitgeber und Gewerkschaftsvertreter, die sich in dem Quartett zusammengeschlossen haben und vorbildlich dazu beigetragen haben, dass Tunesien - anders als viele andere arabische Länder - bisher von Bürgerkriegen, größeren Unruhen oder neu aufgelegten Diktaturen verschont geblieben ist. Der Preis ist auch eine Ermutigung für alle, die sich - oftmals unter hohen persönlichen Risiken - für Demokratie, Zivilgesellschaft, Dialog und friedlichen Wandel in der Region einsetzen.
Der richtige Weg
Dazu gehören viele Menschen auch in anderen arabischen und islamischen Ländern. Und dazu gehört nicht zuletzt die tunesische Gesellschaft als Ganzes. Denn die Menschen in dem kleinen Maghreb-Land haben trotz wiederholtem Terror, weiterer Sicherheitsbedrohungen und einer extrem schlechten Wirtschaftslage bisher extremistischen und totalitären Kräften unterschiedlichster Couleur keinerlei Chance gegeben. Sie haben sich vielmehr einen schwierigen Dialog zugemutet, in den sie Islamisten und säkulare Kräfte einschließen - und damit traurige und dramatische Entwicklungen wie in Syrien, Libyen oder auch Ägypten bei sich zu Hause verhindert. Dies ist der einzig richtige Weg. Deshalb auch: Gratulation an das Volk von Tunesien!
So unterschiedlich die Rahmenbedingungen der Länder in der Region sind: Tunesien ist Vorbild - Tunesien ist ein Modell. Und genau deshalb ist Tunesien auch Gefahren ausgesetzt: Weder fanatische Dschihadisten noch säkulare Diktatoren haben ein Interesse an einem erfolgreichen Beispiel für die schwierige Synthese zwischen Demokratie, Islam, Zivilgesellschaft und Stabilität. Es könnte ihre eigene Herrschaft gefährden.
Unterstützung nötig
Tunesien ist aber auch fragil, es hat viele ungelöste Probleme. Aus wohl kaum einem anderen arabischen Land kommen mehr Kämpfer des sogenannten "Islamischen Staates" als aus Tunesien. Der Friedensnobelpreis ist daher auch ein Signal an Europa und die ganze Welt: Ja, es ist wichtig, dass wir auf Syrien, Irak und andere brennende Krisenherde der Region blicken! Und ja, es ist ebenso wichtig, dass wir so gut wie möglich aktive Krisenbewältigung betreiben und Flüchtlingen Asyl gewähren. Es ist aber genauso unerlässlich, keine neuen Krisenherde entstehen zu lassen und hoffnungsvolle Ansätze für Frieden und Demokratie in der arabischen Welt zu unterstützen. Tunesien verdient diese Unterstützung. Und wir müssen sie uns etwas kosten lassen.
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