Kommentar: Gebt Griechenland eine Auszeit vom Euro!
22. März 2015Nach der sonderpädagogischen Sitzung mit den Spitzen der EU und dem griechischen Regierungschef Alexis Tsipras am Rande des Brüsseler Gipfeltreffens in der Nacht zu Freitag werden jetzt wieder Olivenzweiglein geschwenkt. Die schrillen Töne aus Athen sind vorübergehend abgestellt und die Bundeskanzlerin gibt sich versöhnlich. Wobei der nächste Krach schon programmiert ist: Tsipras erzählte den Seinen zu Hause, er müsse eine Reformliste schreiben und dann würde neues Geld fließen. Die offizielle Lesart heißt: Er muss eine glaubwürdige und umfassende Reformliste vorlegen und erste Schritte zum Umbau seines dysfunktionalen Landes unternehmen.
Das Parlament in Athen nahm die Aufforderung auf seine Weise ernst und verabschiedete ein großzügiges Gesetz, das den Griechen das Steuern-Nachzahlen erleichtern soll. So käme wenigstens etwas Geld in den Staatshaushalt, was angesichts der drohenden Pleite dringend nötig ist. Die soll inzwischen von EU-Beamten für Anfang April errechnet worden sein, eine paar Tage später also als jüngst angenommen.
Klar ist, dass auch im nächsten Monat rund 4,3 Milliarden Euro Rückzahlungen an den IWF und Refinanzierungen am Finanzmarkt fällig werden und dass Griechenland die Auszahlung der restlichen sieben Milliarden Euro aus dem letzten Hilfspaket daher ganz dringend braucht. Klar ist aber gleichermaßen, dass dieses Geld angesichts der realen Lage des Landes nur ein Tropfen auf den heißen Stein ist. Denn im Juli und August steht Athen vor weiteren Multimilliarden-Forderungen, die die Regierung nicht bedienen kann. Der Staatsbankrott wird also nur ein wenig aufgeschoben, selbst wenn man Griechenland das absurde Geschäft "Geld gegen Reformliste" durchgehen lässt. Denn die dafür verlangten konkreten Schritte vorzuzeigen, hat die Regierung Tsipras längst keine Zeit mehr.
Fixe Ideen ad acta legen
Ist das jetzt nicht der Punkt, wo man ein paar grundsätzliche Annahmen einfach infrage stellen sollte? Da wäre das Wort von Angela Merkel: "Wenn der Euro scheitert, scheitert Europa." Aber ist denn der Euro gescheitert, weil ein kleines Land im Südosten es mittelfristig nicht schafft, die Bedingungen zu erfüllen? Sicherlich nicht, von Europa ganz zu schweigen.
Und dann wäre da der Satz von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker: "Griechenland muss im Euro bleiben." Davon hat er sich selbst hinter verschlossenen Türen schon verabschiedet. Es stimmt: Die Mehrheit der Griechen möchte gern in der Gemeinschaftswährung bleiben, aber sie unterstützen eine Regierung, die die Bedingungen nicht erfüllen kann und will.
Man soll sich nichts vormachen: Wenn sich Alexis Tsipras nicht in den nächsten zwei Wochen in einer Nacht der langen Messer von der harten Linksfraktion in seiner Partei trennt, dann kann er Reformen, wie sie Brüssel fordert, gar nicht umsetzen. Seine Truppe muss sich mit einer Garde von Altmarxisten arrangieren, die die Modernisierungsdebatten der vergangenen vierzig Jahre verschlafen hat. Und leider sind zwar viele seiner Lederjackenrevoluzzer stark in großen Sprüchen, haben bisher aber noch nicht eine einzige neue, interessante, zukunftsweisende Idee hervorgebracht. Stellt Staatsdiener ein und schafft Wachstum durch öffentliche Investitionen - das ist uraltes Denken.
Drinbleiben, rausgehen oder...
Für die restliche Eurozone gibt also drei Möglichkeiten: Wir finanzieren den griechischen Staatshaushalt für die nächsten zehn, zwanzig Jahre einfach weiter. Das Land ist klein, wir könnten uns das leisten. Aber die Wähler der anderen Mitgliedsländer werden das nicht wollen. Schon, wenn im April in Finnland die Rechtspopulisten in eine Regierungskoalition einstiegen, würde diese Option ausfallen. Sie könnten Beschlüsse in der Eurogruppe mit einem "Nein" blockieren.
Oder wir lassen Athen vor die Wand fahren, es käme zum Grexit oder Graccident, dem beabsichtigten oder versehentlichen Ausstieg des Landes aus dem Euro. Dann müssten wir Griechenland mittelfristig humanitäre Hilfe leisten, weil ein chaotischer und schwieriger Transformationsprozess über das Land hereinbräche, der auch politisch und sozial schwere Folgen hätte.
... einen Mittelweg finden
Bleibt noch die dritte Variante: Wir vereinbaren mit Griechenland einen vorübergehenden Ausstieg, eine Art Auszeit von beispielsweise zunächst fünf Jahren bis Ende 2020. Bis dahin leistet Athen sowieso keinen Schuldendienst an die EU, sondern ist nur dem Finanzmarkt und dem IWF verpflichtet. Bei diesen Zahlungen bräuchte das Land weiter Hilfe der anderen Euroländer, wäre aber abgesehen davon auf sich selbst gestellt und müsste eine Art Parallelwährung ausgeben. Die würde dann entsprechend der schwachen Wirtschaftsleistung im Land eine radikale Abwertung bringen.
Nun ist das im Falle Griechenland auch kein Allheilmittel. Denn die griechische Wirtschaft exportiert wenig, sie lebt im Wesentlichen von Tourismus, etwas Landwirtschaft und dem Reedereigeschäft. Der Vorteil eines solchen "Auszeit-Szenarios" wäre aber: Die Regierung in Athen könnte keine weiteren Schulden machen, weil ihr weder die EZB noch der Kapitalmarkt mehr Geld geben würden, und die Griechen müssten einen Weg finden, sich an den eigenen Haaren aus dem Sumpf zu ziehen. Voraussichtlich ohne die Regierung Tsipras, die ihre Wirtschaftspolitik bislang nach der Devise "Geld wächst auf Bäumen" ausrichtet.
Aber vielleicht wäre es ja dieser Ausflug in das "wilde Leben", der in griechischen Bürgern schließlich eigene Ideen und Pläne sowie das notwendige Gemeinschaftsgefühl und letztlich von innen kommende Strukturreformen wachsen ließe. Und angesichts der anderen Szenarien für die unmittelbare Zukunft des Landes: Dieses hat doch wenigstens den Charme, statt einer garantierten Katastrophe eine Möglichkeit zu bieten.