"Es ist nichts vereinbart, nichts beschlossen." - "Wir haben von den hundert Punkten zwei besprochen und beim dritten sind wir hängen geblieben." - "Wir haben uns bewusst keinen Endpunkt gesetzt." Das sind nur drei Kommentare von Unterhändlern der potenziellen Jamaika-Koalition nach der "Nacht der Entscheidung", die keine wurde. Wir erinnern uns: Am 16. November sollte Schluss sein mit den Sondierungen. Zu Recht. Nach vier Wochen sollte man eigentlich wissen, ob man miteinander kann oder nicht.
Es reicht eben nicht, ins Gelingen verliebt zu sein, wie eine CDU-Politikerin, die einmal Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz werden wollte, fordert. Es reicht auch nicht, gebetsmühlenartig zu wiederholen, dass doch bitteschön alle Seiten kompromissbereiter sein müssten.
Das ist zu wenig. Man muss auch einen Sinn für Realitäten, für das tatsächlich Machbare haben. Man muss erkennen können, wann es keinen Sinn mehr hat, ein Quadrat durch die Öffnung eines Kreises pressen zu wollen oder vier nicht zueinander passende Puzzle-Teile zusammenfügen zu wollen.
Bayerische Querulanten
Fakt ist, dass insbesondere die CSU und die Grünen meilenweit auseinander liegen. Der Dissens in für ein Regierungsbündnis so entscheidenden Fragen wie der Flüchtlings- oder der Verkehrs- und Energiepolitik ist nur ein Symptom für einen grundlegenden Gegensatz. Der ja auch seinen Sinn hat. Wofür gibt es Parteien, wenn am Ende alle die gleiche Meinung haben und die gleiche Politik machen wollen?
Erschwerend hinzu kommt, dass die Christsozialen im kommenden Jahr in Bayern Landtagswahlen gewinnen wollen und das nicht nur so eben, sondern wie üblich mit absoluter Mehrheit. Das ist bayerisches Naturgesetz. Diese Landtagswahlen sind für die CSU weitaus wichtiger als die Jamaika-Verhandlungen in Berlin. Für die CSU heißt das, dass sie sich hart von der grünen Konkurrenz abgrenzen muss. Gerade in süddeutschen Großstädten ist die Ökopartei zu einer echten Konkurrenz geworden.
In Berlin in der Regierung, in Bayern im Wahlkampf?
Wenn CSU-Politiker die Grünen in Berlin verbal attackieren, wenn sie von "Schwachsinn" sprechen, von "Uraltforderungen aus der grünen Mottenkiste", dann machen sie eigentlich Wahlkampf in Bayern. Der wird aber erst im Herbst 2018 mit der Landtagswahl enden. Sollen die Jamaika-Sondierungen in Berlin bis dahin weitergehen? Oder wie soll die Zeit sonst überbrückt werden? Angenommen, CDU, CSU, FDP und Grüne würden sich auf eine Koalition einigen und eine Bundesregierung bilden: Wie soll diese Regierung erfolgreich arbeiten können, wenn die CSU - was absehbar wäre - nicht aufhören würde/könnte, eine politische Attacke nach der anderen zu fahren?
CSU und Grüne passen nicht zusammen. Grüne und FDP eigentlich auch nicht. FDP und CSU haben auch ihre Probleme. Trotzdem sind alle der Meinung, dass sie sich in Berlin zusammenraufen müssen. Es erinnert an zwei Menschen, die heiraten, weil ein Kind unterwegs ist. Beide wissen, dass sie nicht harmonieren, aber schließlich hat man eine gemeinsame Verantwortung. Das mag eine Zeit lang gut gehen, aber dann brechen die alltäglichen Konflikte wieder auf. Alle leiden, am Ende folgt die Scheidung.
Profitiert am Ende die AfD?
So wird es auch einer Jamaika-Koalition ergehen. Bis es soweit sein wird, werden die Parteien aber noch reichlich absurdes Theater zum Besten geben. Wer weiß, wie lange die Sondierungsgespräche noch dauern werden? Der 16. November ist verstrichen, der selbstgesetzte Damm gebrochen. Und wenn sich Sondierungen schon über Wochen hinziehen, wie lange würden dann erst Koalitionsverhandlungen dauern, in denen es tatsächlich um jedes Wort im Vertrag geht?
Aus der Opposition heraus werden die SPD und die AfD interessiert zuschauen und die Zeit nutzen, um sich beim Wähler ins bessere Licht zu setzen. Die rechten Populisten von der Alternative für Deutschland profitieren bereits von den Querelen bei den Sondierungsgesprächen. Ihre Umfragewerte sind gestiegen. Von Neuwahlen würden sie profitieren. Egal ob diese schon 2018 stattfinden oder erst 2019.
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