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Politik

"Haut alle ab!"

Gemma Casadevall (Foto: DW)
Gemma Casadevall
2. Oktober 2017

Die Bilder der Gewalt aus Katalonien sind schockierend. Sollten die politischen Kontrahenten weiterhin stur ihre eigene Klientel bedienen, droht bald die nächste Katastrophe, meint Gemma Casadevall Serra.

Bild: Reuters/J. Medina

Nun hat Kataloniens Ministerpräsidenten Carles Puigdemont die Bilder, die er brauchte, um die Unabhängigkeitsbewegung weiter zu stärken: Senioren, die mit Staatsgewalt aus den Abstimmungslokalen hinaus gezerrt werden, übermächtige Polizeikräfte, die gegen unbewaffnete und unvermummte Bürger vorgehen, und Wahlurnen, die aus den Händen von Menschen gerissen werden, die ihr "Recht zu entscheiden" wahrnehmen wollen.

Der spanische Ministerpräsident Mariano Rajoy hatte wiederholt insistiert, dass der Oberste Gerichtshof das Referendum für ungültig erklärt habe und dass es demzufolge auch nicht stattfinden dürfe. Für seine Ankündigung,  den "Rechtsstaat zu verteidigen", hatte er den Rückhalt seiner wichtigsten europäischen Verbündeten. Es ist möglich, dass die schrecklichen Bilder und Szenen aus Katalonien, die kaum mit einer europäischen Demokratie in Einklang zu bringen sind, diese Unterstützung in Horror und Ablehnung verwandeln.

Gegenseitige Schuldzuweisungen

Wie vorherzusehen war, schieben sich beide Seiten gegenseitig die Schuld für den Gewaltausbruch an diesen Tag zu. Laut der spanischen Justiz war dieses Referendum illegal. Die Anhänger der katalanischen Unabhängigkeit beschlossen trotzdem, das Referendum abzuhalten, obwohl es ganz offensichtlich nicht den internationalen Standards, beispielsweise durch die Existenz einer anerkannten Wahlbehörde und eines überprüfbaren Wahlregisters, genügen konnte. Eine zutiefst gespaltene Gesellschaft wurde aufgefordert, ihre Stimme abzugeben, auf eine Weise wie man sie in Spanien bisher nicht für möglich gehalten hat.

Gemma Casadevall Serra ist Redakteurin der spanischen DW-Redaktion

Auf die polizeiliche Beschlagnahmung von Millionen von Stimmzetteln reagierte das Team um den katalanischen Ministerpräsidenten Puigdemont mit Kreativität, ausgeprägter Präsenz in den Sozialen Medien und schneller Spiegelung der von Madrid gesperrten Webseiten. Auf die Entsendung von zehntausenden Beamten der Guardia Civil und der nationalen Polizei, die die Abstimmung  verhindern sollten, antwortete Katalonien mit der nächtlichen Besetzung von Schulen, sogar durch Eltern mit Kindern, um sicherzustellen, dass die Wahllokale am Sonntag ihre Türen öffnen könnten.

Unbeschreibliche Bilder aus Barcelona

So startete man in den 1. Oktober. Die Abstimmung begann mit WhatsApp-Meldungen von Katalanen, die sich gegenseitig zu diesem "Fest der Demokratie" beglückwünschten. Die ersten Bilder von den Polizeieinsätzen zerstörten diese Illusion.  

Und sie zerstörten auch den Glauben mancher, sich einer stillen Mehrheit zugehörig zu fühlen, die sich aus diesem Konflikt heraushalten kann. Viele Spanier und viele Katalanen betrachteten das Geschehen als eine Konfrontation zwischen zwei Nationalismen, dem spanischen und dem katalanischen, mit dem sie nichts zu tun haben wollten. Viele andere hätten sich ein einvernehmliches und verbindliches Referendum mit einer klaren Botschaft und einem klarem Ergebnis gewünscht. Nun sahen diese Menschen im Fernsehen wie Teenager, die ihre Söhne oder Neffen sein könnten, von Polizisten zu Boden getreten wurden, wie ältere Damen, die ihre Mütter sein könnten, aus Wahllokalen gezerrt wurden. Diese Menschen waren keine kapuzentragenden Randalierer, sondern Menschen, die ihre Meinung in einem Referendum kundtun wollten, auch wenn dieses illegal, ungeordnet und unverbindlich war.

Weiteres Ignorieren ist zwecklos

Wie konnte es zu dieser Situation kommen? Das ist die Frage, die sich viel Menschen stellen, angesichts von Szenen, die man bisher in einer Demokratie, die Spanien ohne jeden Zweifel ist, für unmöglich gehalten hatte. Es wird kein zuverlässiges Ergebnis in diesem Referendum geben. Man weiß auch nicht, wie die Menschen abgestimmt hätten, wäre das Referendum legal und einvernehmlich gewesen. Klar scheint nur: Die Wucht des katalanischen Bestrebens nach Unabhängigkeit zu ignorieren hieße, die Sonne mit einem Daumen abdecken zu wollen.

Die Kunst einer erfolgreichen Politik muss nun sein, dort einen Weg zu finden, wo der Weg anscheinend hoffnungslos blockiert ist. Puigdemont und Rajoy ist gemeinsam, dass sie bis jetzt ihre jeweilige Anhängerschaft befriedigt haben. Sollten beide aus diesem Sonntag eine Legitimierung ihrer bisherigen politischen Linie ziehen wollen, wird die nächste politische Katastrophe auf dem Fuß folgen. Eine Mobilisierung der Massen, nicht nur in Katalonien, könnte sich den Leitspruch "Haut alle ab!" (Que se vayan todos) von den Argentiniern ausleihen, die 2001 in Protestmärschen gegen die gesamte politische Klasse auf die Straße zogen.

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