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Hektische Reformen bringen nichts

Porträt eines Mannes mit blauem Sakko und roter Krawatte
Bernd Riegert
23. Juni 2016

Nach dem Drama in Großbritannien muss die EU ihre eigenen Instrumente besser nutzen, um die Rechtspopulisten in Schach zu halten. Mit genügend politischem Willen kann sie das schaffen, meint Bernd Riegert.

Bild: Getty Images/C. Furlong

Noch ist das Ergebnis des britischen Referendums nicht klar, aber die Diskussion um die Folgen für die Europäische Union ist bereits voll entbrannt. Wenn die Briten gehen, wird das eine veritable Krise für die Europäische Union. Wenn die Briten bleiben, ist das Referendum immer noch ein gehöriger Warnschuss für das politische Führungspersonal in der EU. Die Frage lautet: Weitermachen wie bisher oder Kurswechsel für die EU?

Die Frage hat der deutsche Finanzminister und Europa-Vordenker Wolfgang Schäuble schon beantwortet: Man könne NICHT so weitermachen wie bisher. Die platte Forderung nach mehr Europa und mehr Integration sei nicht mehr glaubwürdig. Der französische EU-Kommissar Pierre Moscovici sieht das anders, er fordert einen "Neustart" der Europäischen Union, mehr Zusammenarbeit bei der Terrorabwehr, mehr Zusammenarbeit in sozialen Fragen, mehr gemeinsame Wirtschafts- und Fiskalpolitik. Der belgische Premierminister Charles Michel setzt noch einen drauf und plädiert für einen neuen europäischen "Konvent" oder ein "Konklave", das wieder mit ganz neuen Reformideen für die EU um die Ecke biegen soll.

Neue Instrumente sind nicht nötig

Solche intellektuellen Europa-theoretischen Verrenkungen würden jedoch wenig bringen. Schon der letzte "Konvent" zur Reform der Union vor 13 Jahren hat Vorschläge geboren, die viel zu weitreichend waren. Jahrelang wurde diskutiert. Das Publikum, also der EU-Bürger, war nicht amüsiert. Die aus dem Konvent hervorgegangene Verfassung wurde prompt in Referenden in Frankreich und den Niederlanden verworfen. Übrig blieb der Vertrag von Lissabon, der heute den institutionellen Rahmen der EU bildet und die Integrationsziele "Ever closer union" vorgibt.

Der Vertrag bietet bereits alle Instrumente, die die EU braucht. Eine neuerliche Diskussion über Gremien, Posten, Kompetenzen und Zuständigkeiten ist überflüssig wie ein Kropf. Ja, sie ist sogar gefährlich, wenn man die Union zusammenhalten möchte. Änderungen des Vertrages müssten wieder von allen 28 oder nur noch 27 Mitgliedsstaaten gebilligt werden. In Frankreich wäre ein Referendum fällig. Wie das ausginge, kann man sich angesichts der Stärke der rechtspopulistischen "Nationalen Front" nicht düster genug ausmalen.

In schlechter Erinnerung: Negatives Referendum in Frankreich 2005Bild: AP

Es gibt kein Dikat und keine erzwungene Abhängigkeit

Die Staats- und Regierungschefs und die EU-Kommission sollten sich nicht in grundsätzliche Diskussionen flüchten, sondern liefern. Eine bessere Terrorabwehr, solidarische Flüchtlingspolitik und eine besser funktionierende Euro-Zone lassen sich mit dem Lissabonner Vertrag hervorragend organisieren, wenn der politische Wille vorhanden ist. Dabei muss aber allen Bürgern und Europaskeptikern klar gemacht werden, dass es das im britischen Wahlkampf behauptete "Diktat" aus Brüssel nicht gibt. An dieser Legende wird leider auch in Polen, Ungarn, Italien oder Griechenland fleißig gestrickt.

Es ist die Summe der nationalen Regierungen, die entscheidet. Die EU-Kommission kann alleine gar nichts ausrichten. Die Regierungen der Mitgliedsstaaten sind demokratisch legitimiert. Das frei gewählte Europäische Parlament wirkt an der Gesetzgebung mit. Insofern ist auch das oft attestierte "Demokratiedefizit" hauptsächlich ein Wahlkampfschlager der EU-Gegner, aber kein realer Mangel. Kontrolle und Souveränität in wenigen Politikbereichen wie der Agrarpolitik sind den EU-Institutionen freiwillig von den Mitgliedsstaaten übertragen worden. Der Ruf, man müsse wieder Unabhängigkeit von Brüssel erlangen, ist einfach nur hanebüchener Unsinn.

Europa-Korrespondent Bernd Riegert: #Wewillmissyou

Kontrolle ist möglich

Die Regeln der EU sehen schon jetzt eine Prüfung vor, ob Gesetze nicht besser von nationalen oder regionalen Parlamenten getroffen werden sollten. Dieses "Subsidiaritätsprinzip" kann jedes nationale Parlament in den Mitgliedsstaaten, auch das Unterhaus in London, einklagen, wenn es seine Kompetenzen beschnitten sieht. 2014 hat das Unterhaus übrigens ganze nur drei Mal von diesem Recht Gebrauch gemacht. Worüber regen sich die Austritts-Befürworter und Unabhängigkeitskämpfer also eigentlich auf?

Nach dem Referendum in Großbritannien, egal wie es ausgeht, müssen die Europäischen Mitgliedsstaaten, sich auf ihre eigenen Verträge und Regeln besinnen und sie auch voll anwenden, auch wenn das mühsam ist. Und vor allem müssen die Regierungen, den Mut haben, ihren Bürgern die Vorteile der EU mit Leidenschaft zu erklären. Gegen dumpfe Parolen helfen nur Fakten, aber bestimmt kein neuer Konvent.

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Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union
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