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Politik

Helden 1989, Maulhelden 2016

3. Oktober 2016

"Wir sind das Volk", riefen die Menschen vor 26 Jahren zum Ende der DDR. Wer am Tag der Deutschen Einheit "Wir sind das Volk" brüllte, hat sich an den Idealen von damals versündigt, meint Marcel Fürstenau.

Deutschland | Tag der Deutschen Einheit - Dresden 2016
Bild: DW/M. Fürstenau

Es gibt nichts zu beschönigen: Die Bilder vom 3. Oktober aus Dresden haben der Stadt geschadet. Mehr noch: Sie haben Deutschland geschadet. Die Welt fragt sich, was los ist bei uns? In jenem Land, das wegen seiner Wirtschaftskraft bewundert wird. Ein Land, das ein Zukunftsversprechen für viele ist. Nicht nur für Flüchtlinge, sondern für Menschen aus allen möglichen Ecken dieser Erde. Vor einem Vierteljahrhundert staunte die Welt über eine friedliche Revolution ohne jedes Blutvergießen. Über mutige Ostdeutsche, die eine Diktatur wegdemonstrierten. Die berühmte Parole damals lautete: "Wir sind das Volk."

Ohne den Mut zunächst weniger DDR-Bürgerrechtler wäre damals keine Massenbewegung entstanden. Vor dieser Masse, dem Volk, hatten die alten Männer im Politbüro und die Stasi-Geheimpolizei so viel Angst, dass ihnen am Ende die Macht entglitt. Im Triumph der Aufrechten lag aber auch der Keim, aus dem schnell Verlierer wuchsen. Sehr unterschiedliche Verlierer. Zu den Enttäuschten gehörten zahlreiche Bürgerrechtler, deren Ideale auf die harte Wirklichkeit einer zuweilen brutal marktwirtschaftlichen Demokratie stießen. Es ist kein Zufall, dass sich nur wenige Helden des Jahres 1989 länger im politischen Betrieb westdeutscher Prägung halten konnten - oder wollten.

Der Rechtsstaat schützt vor staatlicher Willkür

Manche wandten sich enttäuscht ab. Sie vergaßen aber nie, welchen Wert die aus vielen Gründen so unvollkommene Demokratie im Unterschied zu jeder anderen Gesellschaftsform hat. Bärbel Bohley brachte es wunderbar auf den Punkt: "Wir wollten Gerechtigkeit und bekamen den Rechtsstaat." Keine perfekte Lösung. Aber eine, die das Individuum vor der Willkür des Staates schützt. Ein hohes Gut, das zu verteidigen sich lohnt. Zur notwendigen Ambivalenz der Demokratie gehört, dass ihre Gegner, ja sogar ihre Feinde dieselben Rechte genießen wie ihre glühendsten Verehrer. 

DW-Hauptstadtkorrespondent Marcel Fürstenau verbrachte den Tag der Deutschen Einheit in DresdenBild: DW/S. Eichberg

Deshalb können Leute vom Schlage der fremdenfeindlichen "Pegida"-Bewegung ihre mitleidlosen Ansichten verbreiten. Sie lehnen Menschen muslimischen Glaubens ab, Flüchtlinge natürlich auch. Sie schwenken die deutsche Fahne und führen das christliche Kreuz mit sich. Nächstenliebe aber ist ihnen so fremd, wie ihnen die Werte des Grundgesetzes egal sind. Artikel 1 dieser besten Verfassung, die Deutschland je hatte, beanspruchen sie nur für sich selbst: "Die Würde des Menschen ist unantastbar." Das Recht auf Meinungs- und Demonstrationsfreiheit pervertieren sie, weil sie es als Freibrief für Intoleranz und Verunglimpfung Andersdenkender auffassen.

1989 riefen die Menschen auch: "Keine Gewalt!"

Aus ihrem Mund klingt das pathetische "Wir sind das Volk" hohl und verlogen. Solche Menschen öffentlich als "Pack" zu bezeichnen, wie es SPD-Chef Sigmar Gabriel 2015 mal getan hat, hilft natürlich auch nicht weiter. Aber längst sind solche Demonstranten es selbst, die keinerlei Bereitschaft zum Zuhören und zum Dialog zeigen. Die Reden des sächsischen Ministerpräsidenten Stanislaw Tillich und des deutschen Parlamentspräsidenten Norbert Lammert am Tag der Deutschen Einheit gingen im hasserfüllten Gebrüll unter. Dass Bundeskanzlerin Angela Merkel und andere Respekt einforderten, mag hilf- und aussichtslos wirken. Es war trotzdem die richtige Reaktion.

Zu ergänzen ist: Jene, die damals "Wir sind das Volk" skandierten, riefen im selben Moment: "Keine Gewalt!" Daran haben sich damals alle gehalten, heute ist das anders. Die Sprache ist verroht, das Verhalten ebenfalls. Den Worten folgen Taten. Ursache und Wirkung sind eindeutig. Die Helden 1989 waren mutig. Die Maulhelden 2016 sind feige.                                    

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