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Kommentar: Globales Hollywood-System in Gefahr

Jochen Kürten19. Dezember 2014

Nach den Hacker-Drohungen beschließt der Sony-Konzern den Film "The Interview" nicht mehr zu zeigen. Das könnte einen Dammbruch auslösen, meint DW-Redakteur Jochen Kürten.

USA New York The Interview Filmplakat 18.12.2014 (Foto: Michael THURSTON/AFP/Getty Images)
Bild: M. Thurston/AFP/Getty Images

Eine anonyme Hackergruppe droht mit einem Attentat und erinnert gleich an den 11. September 2001, um der Drohung die nötige Dramatik zu verleihen. Verhindert werden soll ein Hollywood-Film, in dem der nordkoreanische Diktator Kim Jong Un lächerlich gemacht wird. Der Konzern, der für die Produktion des Streifens verantwortlich ist, reagiert zunächst, in dem er es den Kinobesitzern freistellt, den Film "The Interview" zu zeigen. Kurz darauf verkündet Sony dann, den Film auf gar keinen Fall mehr in die Kinos bringen zu wollen.

Auch auf die Auswertung im Bereich Home Entertainment, der inzwischen einen ebenso großen Anteil am finanziellen Kuchen der Produktionsfirmen einnimmt wie die Kino-Auswertung, soll verzichtet werden. Sony schreibt die Produktionskosten damit ab. Es soll sich um 42 Millionen Dollar handeln. Auch die Intervention und der Appell prominenter Persönlichkeiten, nicht vor den anonymen Hackern einzuknicken, fruchteten nicht. So bot der brasilianische Bestseller-Autor Paulo Coelho an, den Film auf seiner Homepage zu zeigen. Dem Sony-Konzern hätte er dafür eine symbolische Summe von 100.000 Dollar gegeben. Der fertig produzierte Film "The Interview" wird vermutlich also als eines der großen unbekannten Werke in die Geschichte des Kinos eingehen.

Satire oder Klamotte

Unabhängig davon, ob der Film nun eine hinreißende politische Satire ist, wovon einige wenige Kritiker, die den Film vorab schon gesehen haben, überzeugt sind, oder ob es sich bei der Produktion um eine läppische Klamotte aus dem mittleren Bereich Hollywoods handelt, was auch zu hören war: Sonys Reaktion ist brisant. Und hat wohl auch Folgen - für das Kino. Denn anders als die Proteste und Drohungen, die sich in der Vergangenheit beispielsweise gegen Bücher wie "Die satanischen Verse" von Salman Rushdie oder Mohammed-Karikaturen eines dänischen Zeichners richteten, könnte der aktuelle Fall größere Folgen haben. Moralisch, aber auch wirtschaftlich.

Bücher lassen sich nicht verbieten. Zumindest nicht weltweit und in letzter Konsequenz. Irgendwie kommen die Menschen an zensierte Manuskripte, verbotene Texte und zurückgezogene Bücher. Auch Karikaturen kann man kaum auf Dauer verhindern. Musik, auch Oper und Theater, stehen weltweit weniger im Rampenlicht, auch weil sie meist enger an einen jeweiligen Sprachraum gebunden sind. Die Kunst und die Kultur sind dann besonders verletzlich, wenn sie global gesteuert werden. Wie Hollywood-Filme eben.

Jochen KürtenBild: DW/P. Henriksen

Nun kann man trefflich darüber streiten, ob es sich bei den Produkten aus Hollywood überhaupt um Kunst handelt. Und ob die Art von Komödien, zu denen "The Interview" zu zählen ist, eine ganz bestimmte Mischung aus Slapstick und Satire, aus Selbstironie und klamottenhaften Elementen, mit Kunst irgendwas zu tun hat. Doch dies einmal vorausgesetzt ist das Verschwinden des Films "The Interview" vom weltweiten Kinomarkt ein bemerkenswerter Vorgang. Er könnte Hollywood in seinen Grundfesten erschüttern.

Es ist zwar nicht zu erwarten, dass jetzt direkt Nachahmer auf den Plan treten und jeden irgendwie kritisch gearteten Film attackieren, wie es die anonymen Hacker mit ihrem Cyber-Angriff mit Erfolg vorgemacht haben. Doch es könnte auf mittlere Sicht passieren. Auch die Reaktionen anderer Filmschaffender aus Hollywood deuten das schon an, weisen in Richtung Selbstzensur. Regisseur Steve Carell, der in seinem nächsten Film ebenfalls Nordkorea cineastisch attackieren wollte, hat das Projekt bereits abgesagt. Die großen Hollywood-Studios werden sich künftig zweimal überlegen, ob sie ein Drehbuch passieren lassen, im dem irgendeine Diktatur in der Welt auf die Schippe genommen wird.

Faustpfand Kinoeinnahmen

Die Cyber-Terroristen haben nämlich etwas in der Hand. Dabei geht es noch nicht einmal in erster Linie um deren Drohung an die Produzenten und Regisseure, politisch keine Grenzen zu überschreiten. Es geht ums Geld. Die global agierenden US-Film-Konzerne und der japanische Sony-Konzern, der inzwischen ein fester Bestandteil Hollywoods ist, sind auf die weltweiten Einspielergebnisse ihrer Produkte unbedingt angewiesen. Wenn die Internet-Terroristen nun mit solchen Attentaten drohen wie beim aktuellen Fall, dann haben sie in Zukunft leichtes Spiel. Denn es muss ja nicht bei leeren Drohungen bleiben. Und die Konzerne werden immer erst darauf schauen, ob der Verlust existenzbedrohend ist. "The Interview" war - nach Hollywood-Maßstäben - eher ein kleiner Film. Wenn etwas passiert wäre, dann hätte jedoch das Milliardengeschäft Kino gerade über die Festtage Schaden erleiden können. Dabei geht es um vielmehr als 42 Millionen Dollar.

Was lehrt uns das? Zum einen die große Verletzlichkeit global agierender Konzerne, die im Bereich der Kultur besonders beim Kino deutlich wird. Und - wieder einmal - die dunkle Seite des Netzes und ihrer kriminellen Aktivisten. Der Fall "The Interview" wird nicht der letzte derartige sein.

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