Ohne Julian Assange wäre das Bild vom unendlichen Krieg in Afghanistan um viele Facetten ärmer, vor allem staatstragender und unerträglich verharmlosend. Seit 2010 weiß die Welt mehr über das Elend, die Unmenschlichkeit, die Verlogenheit dieses US-geführten Feldzugs. Damals wurden zigtausend geheime Militär- und Geheimdienst-Dokumente auf der Enthüllungsplattform Wikileaks veröffentlicht. Gründer dieses investigativen Internet-Mediums ist Julian Assange.
Von seiner Idee profitieren seither Journalisten auf der ganzen Welt. Schneller und besser denn je können sie sich vernetzen, um intransparentes, rechtswidriges oder gar verbrecherisches Handeln politischer und wirtschaftlicher Eliten aufzudecken. Dass sich die Mächtigen in Regierungs- und Konzernzentralen davor fürchten, ist klar. Und sie sollen sich dagegen auch wehren können - aber bitte mit fairen Mitteln und Methoden. Davon aber kann im Kampf gegen Julian Assange schon lange keine Rede mehr sein.
Trump wischte Obamas Skrupel beiseite
Bereits unter US-Präsident Barack Obama musste der 48-Jährige mit dem Schlimmsten rechnen, weil er auch in den Augen des Friedensnobelpreisträgers ein Landesverräter ist und kein Kämpfer für die Pressefreiheit. Zum Glück waren seinerzeit die Skrupel in Washington noch größer als heute. Der Verzicht auf eine Anklage gegen Assange wurde damit begründet, dass dann auch Medien wie "The Guardian" oder die "New York Times" anklagt werden müssten. Denn die veröffentlichen ebenfalls immer wieder geheime Dokumente.
Unter Obamas republikanischem Amtsnachfolger Donald Trump hat sich das Blatt endgültig zu Assanges Ungunsten gewendet. Im April 2019 wurde er offiziell angeklagt, im Juni forderte der US-Präsident von Großbritannien seine Auslieferung. Darüber soll ab dem 24. Februar vor Gericht verhandelt werden. Das Problem: Assange sitzt seit seiner Festnahme in Isolationshaft und weist nach Überzeugung der Vereinten Nationen (UN) alle Symptome auf, "welche typisch sind für Opfer lang andauernder psychischer Folter". Das sagt kein Geringerer, als der UN-Sonderberichterstatter für das Thema Folter, Nils Melzer. Assange ist aus gesundheitlichen momentan also gar nicht in der Lage, sich angemessen auf die Verhandlung vorzubereiten.
Der Bericht des UN-Sonderermittlers für Folter wiegt schwer
Melzer hat sich diesen Befund nicht ausgedacht, denn der Schweizer besuchte Assange bereits im Mai 2019 mit einem Ärzte-Team im Gefängnis. Er verlangte damals sofort das einzig Richtige: Assange aus medizinischen und rechtsstaatlichen Gründen freizulassen. Seitdem sind acht Monate vergangen, ohne dass sich an seiner unmenschlichen Behandlung auch nur ein Hauch geändert hätte.
Das empört nun auch den früheren deutschen Außenminister Sigmar Gabriel. Der Sozialdemokrat richtete am Donnerstag vor der internationalen Presse in Berlin an Großbritannien den dringenden Appell, Assange aus der Auslieferungshaft zu entlassen. Die Initiative hierzu ging von Deutschlands berühmtesten Enthüllungsjournalisten, Günter Wallraff, aus. Dafür ist ihm zu danken, ebenso den 130 Erstunterzeichnern des Appells, der unter anderem als bezahlte Anzeige in der überregional erscheinenden "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" veröffentlicht wurde.
Ex-Außenminister Gabriel hat es sich zum Glück anders überlegt
Gabriel tat sich nach eigener Aussage zunächst schwer, den Appell zu unterzeichnen. Er änderte seine Meinung zum Glück nach einem längeren Gespräch mit UN-Sonderberichterstatter Melzer. Nun spricht sogar Gabriel davon, dass es offensichtlich "politisch Gründe" in der Causa Assange gebe. Einer ging noch weiter: der frühere Bundesinnenminister Gerhart Baum. Die Pressefreiheit solle "kriminalisiert" werden, sagt der greise Liberale, der die Nazi-Zeit noch als Kind und Jugendlicher miterlebt hat. Danke für diese klaren Worte! Und auch die der vielen Anderen, die sich dem Appell angeschlossen haben und hoffentlich noch anschließen werden. Als Staatsbürger und Journalist kann es für mich nicht den geringsten Zweifel daran geben, was die Stunde geschlagen hat - deshalb: "Ich bin Julian Assange!"