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Politik

Im Abseits

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Alexander Kudascheff
28. Februar 2017

Die Türkei verändert sich unter Präsident Erdogan. Auf politisch Andersdenkende wird Druck ausgeübt. Besonders auf Journalisten. Keine Frage: das Land ruiniert sich politisch gerade kräftig, meint Alexander Kudascheff.

Bild: picture alliance/dpa/A. Arnold

Die Türkei gerät immer weiter auf Abwege. Unübersehbar steuert der türkische Staatspräsident Erdogan sein Land in eine islamisch geprägte Autokratie. Manche meinen und befürchten sogar: in eine islamisch geprägte Diktatur. Dabei geht es nicht mal um die Umwandlung des Landes aus einer parlamentarischen Demokratie in ein Präsidialsystem, das Erdogan auf sich selbst zuschneidet - Todesstrafe wahrscheinlich inklusive. Es geht um den türkischen Alltag: um die Verhaftung von zehntausenden beim Militär, in der Verwaltung, in Schulen, Universitäten, Behörden - alle unter Verdacht, sie seien Anhänger der Gülen-Bewegung, die Erdogan stürzen und wegputschen wollten. In dieser Verhaftungswelle gerät der Rechtsstaat auf die schiefe Bahn - und dabei auch die Presse- und Meinungsfreiheit.

Mehr als 150 Journalisten sind inzwischen verhaftet, sitzen in Untersuchungsgefängnissen. Zeitungen wurden geschlossen, andere auf Kurs gebracht. Oppositionelle Stimmen sind nur noch selten zu lesen, zu hören oder zu sehen. Und nun ist auch ein deutscher Journalist in Untersuchungshaft, Deniz Yücel. Und es gibt eine beeindruckende, gerechtfertigte Solidarität - bis hinauf zur Regierung, zur Bundeskanzlerin und zum Aussenminister. Bis jetzt hatte sich die Bundesregierung beim Abgleiten der Türkei in eine Autokratie zurückgehalten. Sie war maßvoll aufgetreten. Sie hatte versucht, weiter eine Brücke zur Türkei und zu Erdogan zu bauen. Auch aus berechtigter Sorge heraus, daß allzu heftige Erdogan-Kritik das Flüchtlingsabkommen gefährden könnte. Jetzt aber wird sie um eine sehr deutliche Stellungnahme nicht mehr herum gekommen. Und das in einer Zeit, in der die türkische Öffentlichkeit aufgeputscht ist wie selten zuvor. Denn in der Türkei gibt es keinen politischen Zwischenraum mehr für Grautöne und Differenzierungen. Es gibt nur noch pro oder contra Erdogan. Es gibt nur noch Freund oder Feind.

DW-Chefredakteur Alexander Kudascheff

„Wir sind alle Deniz" - so heißt es in den Zeitungen in Deutschland, so heißt es bei Facebook und Twitter. Ja, wir in den Medien sind alle Deniz. Wir alle sorgen uns um unseren Kollegen - und die anderen 154 Journalistinnen und Journalisten auch, die derzeit in Gefängnissen sitzen. Wir sorgen uns um die Pressefreiheit, um die Meinungsfreiheit in der Türkei. Wir sorgen uns um die Türkei. Sie bewegt sich von Europa weg. Das Land ist politisch im Abseits. Die Untersuchungshaft für Yücel ist dafür ein Synonym. Noch sind wir alle Deniz. Es ist zu befürchten, daß wir uns demnächst unter dem „hashtagfree Deniz" versammeln.

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