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Politik

Die Demokratie in der Türkei lebt noch

Erkan Arikan Kommentarbild App
Erkan Arikan
24. Juni 2019

Die Wiederholung der Bürgermeisterwahl in Istanbul hat der oppositionelle Ekrem Imamoglu von der CHP deutlich vor Binali Yildirim von der AKP gewonnen. Ein wichtiger Sieg für die türkische Demokratie, meint Erkan Arikan.

Bild: Presseabteilung von Ekrem İmamoğlu

Ekrem Imamoglu von der oppositionellen CHP hatte einen deutlichen Vorsprung vor seinem Gegenkandidaten Binali Yildirim von der AKP. Über neun Prozentpunkte und dazu eine Wahlbeteiligung die - im Vergleich zum 31. März - noch einmal höher war: Der 23. Juni 2019 wird zweifellos in die Geschichtsbücher der Türkei eingehen.

Es war genau 19:15 Uhr türkischer Zeit, als in den diversen TV-Kanälen schon hinter vorgehaltener Hand bestätigt wurde, wer die Wiederholung der Bürgermeisterwahl in Istanbul für sich entschieden hat. Schon bei der ersten Wahl am 31. März lag Imamoglu mit über 13.000 Stimmen vor dem ehemaligen Ministerpräsidenten Yildirim. Nun hat er seinen Vorsprung auf knapp 800.000 Stimmen ausgebaut. Für viele in der Türkei ist das mehr als ein Zeichen. Es ist ein Weckruf: Die schwindende Demokratie in der Türkei ist noch am Leben!

Erkan Arikan, Leiter der DW Türkisch-RedaktionBild: DW/B. Scheid

Ein Indiz dafür ist auch, dass sämtliche politischen Gegner Imamoglus, die ihn im Vorfeld mit Beleidigungen und Diffamierungen überschütteten, nun kleinlaut zu seinem Erfolg gratulieren. Allen voran Stastspräsident Recep Tayyip Erdogan. Für ihn muss diese Niederlage ohne wenn und aber ein regelrechter Schlag ins Gesicht sein. Mit allen Mitteln versuchte er seinen eigenen Kandidaten noch zum Sieg zu verhelfen, setzte sogar den Hohen Wahlrat unter Druck. Doch von den Wählerinnen und Wählern in Istanbul hat er nun die Quittung bekommen.

"Wir brauchen Gerechtigkeit"

Selbst um die Stimmen der kurdischen Bevölkerung buhlte die AKP in einer noch nie dagewesenen Art und Weise. Doch die prokurdische HDP hatte ihre Anhänger dazu aufgerufen, für Imamoglu zu stimmen. Zum ersten Mal habe ich in der Türkei erlebt, dass Menschen ihren Hunger nach Demokratie so nach außen getragen haben. Kurz nachdem der Hohe Wahlrat die Wiederholung der Wahlen in Istanbul für den 23. Juni ansetzte, warben viele Urlaubsorte dafür, dass die Istanbuler dringend ihre Ferien unterbrechen und zu den Neuwahlen gehen sollten. Sondermaschinen kamen zum Einsatz, zusätzliche Busse wurden gechartert und Fahrgemeinschaften gegründet.

Es hat sich tatsächlich gezeigt, dass Hunderttausende – manche behaupten sogar fast 1,5 Millionen Wahlberechtigte – für 24 Stunden nach Istanbul kamen, um ihre Stimme abzugeben. Hochzeitspaare gingen, bevor sie sich das Ja-Wort gaben, erst zur Stimmabgabe an die Wahlurne. Ein Taxifahrer, mit dem ich mich unterhielt, sagte: "Ich habe immer die AKP gewählt. Diesmal werde ich es nicht tun. Wir brauchen Gerechtigkeit. Wir sind gläubige Menschen und keine Heuchler!"

Nicht nur mit seiner eigenen Stimme hat Erdogan versucht, den AKP-Kandidaten ins Amt zu bringenBild: Reuters/M. Sezer

Was bedeutet das für Erdogans AKP?

Erdogan befindet sich in einem großen Dilemma. Seinen harten Kurs - Einschränkung der Pressefreiheit, politischer Druck gegen Oppositionelle - kann er nun nicht mehr in dieser Art fortsetzen. Denn zum außenpolitischen Drahtseilakt, den er seit Langem vollzieht, kommt jetzt noch eine neue innenpolitische Front auf ihn zu. Der Verlust Istanbuls nach 25 Jahren wird auch bei ihm Spuren hinterlassen.

Es verdichten sich sogar die Anzeichen, dass einstige Weggefährten genau auf diese historische Niederlage in der Bosporusmetropole gewartet hätten. Die Gerüchte der vergangenen Wochen und Monate, ehemalige AKP-Gründungsmitglieder würden eine neue Partei an den Start bringen, bekommen gerade mit dem Sieg der CHP in Istanbul einen neuen Nährboden.

Ist dies das Ende Erdogans? Wohl kaum. Ein Erdogan wird sich von dieser Niederlage nicht unterkriegen lassen. Ist dies ein Wendepunkt in der Politik Erdogans? Auf jeden Fall! Erdogan hat nun zwei Möglichkeiten: 1. Er wird einen noch härteren Kurs fortsetzen. Oder 2.: Er wird alles unternehmen, um noch weiter an der Macht zu bleiben. Sein großes Ziel, mindestens bis zum 100. Jahrestag der Gründung der Türkei 2023 Präsident des Landes zu sein, hat er weiterhin fest im Blick. Staatspräsident Erdogan wird in Zukunft aber häufiger Kompromisse eingehen müssen – vielleicht das erste Mal in seiner politischen Karriere.

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