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Politik

Innehalten und Nachdenken über Afghanistan

Weigand Florian Kommentarbild App
Florian Weigand
1. Juni 2017

Nach dem Anschlag in Kabul setzt Deutschland bis auf weiteres die Abschiebungen abgelehnter Asylbewerber nach Afghanistan aus. Eine gute Gelegenheit, die Asylpolitik ergebnisoffen zu überprüfen, meint Florian Weigand.

Alle bisherigen Abschiebungen nach Afghanistan wurden in Deutschland von Protesten begleitetBild: picture-alliance/ZUMA Wire/S. Babbar

Nun hat es also drei große Anschläge in Kabul gebraucht, um die Abschiebungen nach Afghanistan vorerst auszusetzen: Im Juli 2016 starben 80 Menschen bei einem Bombenattentat auf eine friedliche Demonstration, im März stürmten Bewaffnete ein Militärkrankenhaus mitten im Stadtzentrum, schossen wahllos umher und tötete 49 bettlägerige Patienten, Ärzte und Pfleger. Die Abschiebungen von Afghanen aus Deutschland gingen dennoch ungerührt weiter. Es bedurfte wohl erst einer schwer beschädigten deutschen Botschaft und weiteren über 80 Toten geradewegs vor deren Haustür, bis sich die Bundesregierung zum Durchatmen entschließen konnte.

Das Scheitern eingestehen

Nun wurde der nächste Abschiebe-Flug ausgesetzt, der für die Nacht zum 1. Juni geplant war - aus "organisatorischen Gründen", wie es heißt. Die Botschaft habe mit der Aufarbeitung des aktuellen Anschlags genug zu tun. Das sind sicher plausible Gründe. Wobei man sich aber auch fragen kann, warum der Charterflug dann nicht nach Mazar-e Sharif umgeleitet wird, den Bundeswehrstandort im Norden, der ebenfalls als "sicher" ausgewiesen wird. Dort war das deutsche Konsulat zwar im November ebenfalls angegriffen worden, ist derzeit aber zumindest arbeitsfähig.

Florian Weigand leitet die Afghanistan-Redaktion der DW

Was auch immer die wahren Hintergründe für diese kurzfristige Entscheidung sind - sie verschafft der Bundesregierung Luft, die sie dringend nutzen sollte, ihre Asylpolitik einmal genauer unter die Lupe zu nehmen: Die Meldungen, wie unsicher Afghanistan geworden ist, sind mittlerweile Legion - egal ob sie von Experten von Think Tanks kommen, den Kirchen oder Menschrechtsorganisationen. Eine ehrliche, detaillierte und ergebnisoffene Analyse der Situation am Hindukusch, die dann auch offen kommuniziert wird, ist überfällig. Aus der Regierung kommt lediglich vom Wahlkampf motivierte Schönfärberei. Keiner möchte der Erste sein, der sich eingesteht, dass das Großunternehmen "Sicherheit in Afghanistan" zwar viel Geld,  Anstrengungen und, ja, auch Menschenleben gekostet hat - die ohnehin schon überschaubaren Erfolge aber mit jeden Tag weiter dahin schmelzen.

Die Gelegenheit, mehr Ehrlichkeit in die Debatte zu bringen, ist so günstig wie nie. Noch vor Monaten blickte Angela Merkels Union mit Panik auf den Wahltermin im Herbst. Gerade in der Flüchtlingsfrage war die Gefahr groß, dass die AfD viele Wählerstimmen gewinnen könnte, sollte die CDU/CSU bei den Abschiebungen nicht klare Kante zeigen. Die Rechtsaußenpartei zerlegt sich mittlerweile selbst, die Wahlergebnisse in drei Bundesländern haben die Bundeskanzlerin deutlich gestärkt. Und die sich allmählich formierende Einheits-Phalanx Europas gegenüber dem unberechenbaren US-Präsidenten hat die Asylpolitik als Wahlkampfmotor abgelöst. 

Handlungsbedarf auch in Deutschland

Vieles gibt es zu analysieren und  dann systematisch abzuarbeiten - auch hier in Deutschland: Es gibt offenkundig gravierende Mängel bei den Asylverfahren. Zudem mischen sich mutmaßliche Ex-Taliban unter normale Flüchtlinge, werden aber nicht gleich abgeschoben, weil ihnen hier der Prozess gemacht werden soll. Andere Flüchtlinge müssen jedoch in den Flieger nach Kabul.

Zu überlegen gilt es auch, welche Anstrengungen Deutschland wirklich bereit ist zu leisten, um Afghanistan - im Konzert mit der internationalen Gemeinschaft - zu einem tatsächlich sicheren Herkunftsland zu machen. Andernfalls werden immer noch mehr Flüchtlinge an unsere Tür klopfen - im Übrigen dieselben Menschen, denen wir in mehr als 15 Jahren Afghanistan-Einsatz die Werte von Freiheit und Demokratie angepriesen haben, die sie aber in Afghanistan nicht finden. Die Flüchtlinge, die heute nach Deutschland drängen, haben wir uns zu einem Teil selbst geschaffen. Und genau darin liegt unsere Verantwortung.

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