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Politik

Italien zeigt den Trend in Europa

Porträt eines Mannes mit blauem Sakko und roter Krawatte
Bernd Riegert
5. März 2018

Jeder zweite Italiener hat populistische Parteien gewählt. Der Staat wird sich ändern. In der EU ist Italien nicht das erste Land, das in diese Richtung geht. Das System ist in Bewegung, meint Bernd Riegert.

Bild: picture-alliance/AP Photo/A. Calanni

Das populistische Erdbeben in Italien stellt einen tiefen politischen Einschnitt für das Land und auch für Europa dar. Das alte System, in dem die Sozialdemokraten und die konservativen Berlusconi-Parteien abwechselnd die Macht ausübten, ist zerstört. An die Stelle der alten Volksparteien sind neue Pole getreten. Die populistischen Parteien links wie rechts werden in Italien die neuen Volksparteien. Das ist ein Fakt, auch wenn es dem Establishment nicht passt. In Italien vollzieht sich, was wir in anderen Staaten der EU auch schon erlebt haben und vielleicht noch erleben werden.

In Griechenland regiert eine Koalition aus Links- und Rechtsradikalen. In Ungarn regieren konservative Populisten. In Frankreich hat eine Anti-System-Partei aus dem Stand die Präsidentenwahl gewonnen und dabei die Rechtspopulisten in Schach gehalten, zu denen auch in Frankreich ein Drittel der Wähler neigen. Allerdings ist die Bewegung von Emmanuel Macron - im Gegensatz zu vielen anderen - europafreundlich eingestellt. In Österreich sind die Rechtspopulisten in die Regierung vorgerückt. In Deutschland sitzen sie als größte Oppositionspartei im Bundestag. In Ostdeutschland ist die "AfD" teilweise die stärkste Kraft. In Großbritannien hat eine nationalistische Anti-Bewegung, die quer durch die altbekannten Parteien geht, den Brexit durchgesetzt.

Die politische Landschaft in Europa ändert sich

Italien ist also kein Einzelfall, sondern die Fortsetzung einer Entwicklung, der die etablierten Parteien in der EU bisher wenig entgegensetzen können. Der einfache Vorwurf, es handele sich bei den neuen extremen Konkurrenten von links oder rechts um "Populisten", reicht nicht mehr aus. Die Wählerinnen und Wähler kümmert das offenbar nicht. Sie wollen, wie in Italien deutlich wird, etwas Neues, frischen Wind, eine Alternative. Gespeist wird diese Lust am Umsturz aus einer tiefen Unzufriedenheit mit den Leistungen des bisherigen Systems. In Italien hat diese Unzufriedenheit lange gegärt, jetzt kam es zu der populistischen Eruption, die anti-europäische, nationalistische, systemkritische Kräfte freisetzt. Der rechte Wahlgewinner Matteo Salvini brachte es am Tag nach der Wahl auf dem Punkt. Populismus ist für ihn ein Ehrentitel, denn er sei für das Volk da, wolle auf die "vox populi", die Stimme des Volkes hören.

Für die DW derzeit in Rom: Bernd Riegert

Mit den negativen Eigenschaften, falschen Versprechen und platter Propaganda, mit denen die Etablierten die Populisten normalerweise belegen, haben immer mehr Wählerinnen und Wähler quer durch Europa keine Probleme. Sie wollen einfache Lösungen für komplexe Probleme. Wenn die nicht geliefert werden können, sind die anderen schuld. Da haben sich die modernen Populisten von Großbritannien bis Italien schon eine Menge vom Populisten-in-chief, von US-Präsident Donald Trump, abgeschaut. Es ist kein Zufall, dass der ehemalige Trump-Flüsterer und System-Zerstörer Steve Bannon am Tag vor der Wahl in Rom auftauchte und Rechtsaußen Salvini unterstützte.

Populismus ist in Europa aber kein rechtes Phänomen alleine. Im Europäischen Parlament sitzen die überaus erfolgreichen "5 Sterne" aus Italien in einer Fraktion mit den nationalistischen Brexit-Vorkämpfern der britischen Unabhängigkeitspartei. Die linksradikale Syriza aus Griechenland hat in der Links-Fraktion im Europaparlament ihre Heimat. Silvio Berlusconi, der sich für diese Wahl in Italien als rechter Populist neu erfunden hatte, sitzt mit seiner wandelbaren "Forza Italia" in der christdemokratischen Gruppe, gleich neben den deutschen Parteien CDU und CSU.

Populismus ist meist antieuropäisch

Große Sorgen muss den Menschen, die für die europäische Einigung und für friedliche Nachbarschaft eintreten, bereiten, dass die Populisten und Anti-System-Parteien fast ausnahmslos gegen die EU, gegen Europa und teilweise nationalistisch eingestellt sind. "Italiener zuerst" war der Schlachtruf Salvinis, geliehen bei Donald Trump. Österreich zuerst, sagt die FPÖ, die in Wien in der Regierung sitzt. Wenn alle "Ich zuerst!" rufen, dann ist das Wir-Gefühl der Europäer bald nur noch eine hohle Phrase. Der "Lega"-Chef hat eine "Befreiung" Italiens von der EU gefordert. Das ist ähnlicher Unsinn wie die angebliche Unterdrückung Großbritanniens durch Brüssel. Gefährlich ist aber, dass wie in Italien immer mehr Wählerinnen und Wähler den Unsinn glauben.

Die neuen Parteien, die System-Zerstörer, die Populisten haben sich im Internet und in den sogenannten sozialen Medien eigene und sehr erfolgreiche und dazu noch preiswerte Kommunikationskanäle geschaffen. Die etablierten Parteien scheinen diesen Trend in vielen Teilen Europas zu verschlafen. Das Netz, die Meinungsblase, Ignoranz und populistischer Erfolg gehören eng zusammen. Aus parlamentarischen Demokratien können schon bald gelenkte Meinungs-Diktaturen im Netz werden. Die Kontrolle liegt bei Twitter? Bei amerikanischen Konzernen? Bei russischen Troll-Farmen? Bei nordkoreanischen Hackern?

Italien hat sich mit dieser Wahl für immer verwandelt. Welches Land wird das nächste sein? In Deutschland ist die SPD keine Volkspartei mehr. Wann wird dieses Schicksal auch die Union ereilen? Oder gelingt es den etablierten, im Kern zur Mitte strebenden Parteien, den Trend zum Populismus umzukehren?

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Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union
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