1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Kein Frieden mit Assad

DW Kommentarbild | Autor Kersten Knipp
Kersten Knipp
2. April 2017

Die USA bestehen nicht mehr auf dem politischen Aus für den syrischen Präsidenten Assad. Das ist fatal, weil es von den Potentaten der gesamten Region als Ermutigung verstanden werden könnte, meint Kersten Knipp.

Der Krieg hat inzwischen auch den Osten der syrischen Hauptstadt Damaskus erreichtBild: Getty Images/AFP/A. Almohibany

Man weiß nicht, ob Weltfremdheit oder Zynismus dahinter steht. Die Syrer sollten über das politische Schicksal Assads selbst entscheiden, erklärte der US-amerikanische Außenminister Rex Tillerson am Donnerstag bei einem Besuch in Ankara. Der "langfristige Status" des Präsidenten müsse durch das syrische Volk festgelegt werden.

Zusammen mit der Erklärung der US-Botschafterin bei den Vereinten Nationen, Nikki Haley, die Trump-Administration konzentriere sich nicht weiter darauf, "Assad loszuwerden", leitet Tillersons Bemerkung nun auch offiziell die Trendwende der neuen Regierung mit Blick auf den Syrien-Krieg ein. Weltfremd ist sie, weil einem Schlächter wie Assad, in dessen Gefängnissen, wie Amnesty International dokumentierte, tausende Gefangene willkürlich hingerichtet wurden, Respekt für den Bevölkerungswillen schlicht nicht zuzutrauen ist. Eher aber dürfte sie zynisch sein: die Konsequenz aus der Einsicht, dass dem Politkriminellen in Damaskus ohnehin nicht beizukommen ist.

Obamas Fehler

Jedenfalls nicht mit dem Kurs, den die USA - und in ihrem Gefolge auch die anderen westlichen Staaten - bislang gefahren sind. So verstanden, ist Tillersons Erklärung nur die logische Weiterentwicklung des unter Barack Obama gepflegten Umgangs mit der Syrien-Krise. Die war vorsichtig-zurückhaltend, wofür Obama, nach den desaströsen Erfahrungen der Irak-Intervention 2003, gute Gründe haben mochte. Doch der damalige Präsident ließ es auf diese Weise zu, dass sich erheblich aggressivere Mächte in Syrien und später auch in der gesamten Region etablierten: nämlich Russland, Iran und dessen Geschöpf aus der strategischen Hexenküche, die Hisbollah.

Spätestens Obamas Zaudern im Sommer 2013, entgegen seiner Ankündigung auf das Überschreiten der von ihm markierten "roten Linie" Giftgas-Einsatz auch tatsächlich zu reagieren, wirkte wie eine Einladung: nämlich auf alle Kräfte, die es mit der Region nicht gut meinen, dort ihre eigenen Interessen voranzutreiben. Die Folgen sind bekannt: Die Potentaten fühlten sich ermutigt, der Krieg eskalierte, die Kultur der Gewalt verhärtete sich.

Neue Akzente unter Trump

Gewiss: All dies ist nicht Obamas Schuld, sondern die eines Politikers, den man zu den klassischen "orientalischen Despoten" zählen kann. Aber als Präsident der weltweit bedeutendsten Ordnungsmacht versäumte Obama es, der Eskalation entgegenzutreten. Und er ließ es zu, dass nun eine Macht von ganz anderem moralischen Kaliber - Russland unter Putin - die Geschicke der Region seither ganz wesentlich bestimmt.

DW-Autor Kersten Knipp

Die Trump-Administration setzt diesen Kurs nun fort. Der unterscheidet sich von dem ihrer Vorgängerin vor allem in der Form. Zierten sich Obama und sein Außenminister John Kerry noch, sich auf die Vorstellung, Assad könne im Amt bleiben, öffentlich einzulassen, bereitet das dem derzeitigen Präsidenten und seinem Außenminister offenbar weniger Probleme.

Für diese Entscheidung mag es Gründe geben: Die Terrororganisation "Islamischer Staat" (IS) ist längst nicht besiegt, und es besteht aller Anlass, dieser Horde vergewaltigender und mordender Psychopathen militärisch mit aller Macht entgegenzutreten. Die Entscheidung übersieht aber, dass ein Syrien unter Assad niemals zur Ruhe kommen wird. Und die Kultur der Gewalt wird ihre Blüten nicht nur rund um Damaskus treiben lassen: Traumatisierte und Radikalisierte werden ihre Saat überall hintragen. Assad ist alles, nur kein Garant des Friedens.

Anarchische Autokraten

Dass Tillerson seine Äußerung just in Ankara machte, verleiht ihr eine weitere pikante Note. Denn der US-Außenminister deutet die Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit einer Regierung an, die eine ganz eigene Auffassung von politischer Verantwortung hat. In den vergangenen Wochen hat Staatspräsident Erdogan gezeigt, dass er um seiner persönlichen politischen Zukunft willen nicht eine Sekunde zögert, politische Erdbeben loszutreten. In Deutschland etwa haben seine Nazi-Vergleiche die Ergebnisse jahrelanger integrationspolitischer Kleinarbeit zu erheblichen Teilen hinweggefegt. Nicht nur die die türkische Community ist zerstritten - zugleich ist die ethnisch deutsche Bevölkerung zutiefst verunsichert über den Integrationswillen von durchaus nennenswerten Teilen dieser rund drei Millionen Menschen.

Gewiss: Man kann sich Kooperationspartner nicht immer aussuchen. Aber dass die USA, nachdem ihr neuer Präsident im Wahlkampf bereits mit Russland geflirtet hatte, nun auf ein anderes hochgradig autoritäres Regime setzt, ist beunruhigend. Mehr und mehr erfahren die Europäer auch auf eigenem Boden, wie es ist, wenn Autokraten keine Grenzen mehr kennen. Noch ist es friedlich in Europa. Aber die propagandistischen Feldzüge Erdogans und die Sorge vor denen des Kremls im Bundestagswahlkampf lassen erahnen, was möglich ist, wenn starke Männer mit Opposition und Sanktionen kaum rechnen müssen. Syrien bildet die Gipfelregion der derzeitigen politischen Tragödien. Aber die Einschläge auch in Richtung Europa rücken näher. Dafür ist Assad nicht allein verantwortlich. Aber die Vorstellung, er könnte zur Stabilität und Frieden beitragen, ist irrig.

Sie können unterhalb dieses Artikels einen Kommentar abgeben. Wir freuen uns auf Ihre Meinungsäußerung!

Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika
Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen