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Vielfalt ertragen

Christoph Hasselbach26. Februar 2014

Das Bundesverfassungsgericht hat die Drei-Prozent-Hürde bei Europawahlen gekippt. Zurecht, meint Christoph Hasselbach, denn solche politischen Beschränkungen sind kontraproduktiv.

Deutsche Welle Christoph Hasselbach
Bild: DW/P. Henriksen

Die Chancengleichheit der Parteien wiegt schwerer als die Sorge vor mangelnder Funktionsfähigkeit des Europaparlaments. Auf diese Formel kann man die Begründung für das Urteil des Bundesverfassungsgerichts bringen. Bereits bei der anstehenden Europawahl Ende Mai gibt es in Deutschland damit keinerlei Zugangshürde bei der Wahl zum Europaparlament mehr.

Als Folge des Urteils könnte zum Beispiel auch die rechtsextreme NPD ins Europaparlament einziehen. Für große und etablierte Parteien wie CDU und SPD ist die Vorstellung ein Schreckgespenst, dass nun gleich mehrere Parteien aus Deutschland im Europaparlament vertreten sein könnten, die dem europäischen Integrationsgedanken oder der Euro-Rettungspolitik skeptisch bis ablehnend gegenüberstehen. Die Neulinge würden die politische Vielfalt allerdings nur unwesentlich vergrößern. Schon jetzt gibt es in Straßburg Abgeordnete aus mehr als 160 Parteien. Längst nicht alle dieser Gruppierungen haben sich zu Fraktionen zusammengeschlossen. Wenn das keine Zersplitterung ist!

Straßburg ist noch kein "echtes" Parlament

Dennoch ist die Sorge unbegründet, das das Europaparlament sich bald selbst lahmlegen könnte. Das Gericht macht einen klaren Unterschied zwischen Bundestags- und Europawahlen. Während Karlsruhe eine relativ hohe Hürde von fünf Prozent bei Bundestagswahlen für gerechtfertigt hält, will es bei Europawahlen nicht einmal mehr drei Prozent gelten lassen. Warum? Vor allem, weil aus dem Europaparlament, anders als aus dem Deutschen Bundestag, keine Regierung hervorgeht. Dabei hat das Europaparlament durch die Lissabon-Reformen heute wesentlich mehr Einfluss als früher. An die Bedeutung eines klassischen nationalen Parlaments reicht es aber bisher nicht heran. Das beklagen zwar eingefleischte Europäer, aber es ist einfach die Realität. Niemand weiß natürlich, wie die europäischen Institutionen in 30 Jahren aussehen werden. Sollte sich die Rolle des Europaparlaments in Zukunft ändern, dann könnten auch Zugangshürden geboten sein, meint auch das Verfassungericht. Aber im Moment sind sie eben nicht notwendig.

Die politische Bandbreite nimmt zu

Das Gericht mutmaßt, dass es den großen Parteien bei den vorgebrachten Bedenken mehr um Machterhalt als um die Sorge um das Gemeinwohl geht - und liegt damit sicher richtig. Trotzdem haben die Etablierten sicher in einem Punkt Recht: Schon jetzt wettern eine ganze Reihe von populistischen Abgeordneten gegen Minderheiten oder wollen europäische Errungenschaften wie die Reisefreiheit abschaffen. Alles deutet bisher darauf hin, dass es nach der anstehenden Europawahl noch mehr werden.

Die politische Bandbreite im Parlament wird zwar größer, die Debatten werden schärfer, Gesetzesbeschlüsse schwieriger. Wo bis vor einigen Jahren noch ein ziemlich breiter politischer Grundkonsens in der Europapolitik herrschte, stellen nun viele Bürger und Abgeordnete Dinge infrage, die früher selbstverständlich waren. Das ist auch eine Folge der Krise und für diejenigen schwierig zu akzeptieren, die die gesamte europäische Einigung für gefährdet halten.

Aber Sperrklauseln helfen nur vordergründig, und möglicherweise sind sie sogar kontraproduktiv. Denn wer es als Wähler "denen da in Brüssel" mal gehörig zeigen will, indem er eine extreme Partei wählt, wird sich in seiner Haltung doch nur bestätigt fühlen, wenn seine Stimme wegen einer Zugangshürde für die gewählte Partei nicht zählt. Das heißt, auch wenn das unbequem ist: Man muss sich argumentativ mit extremen Meinungen auseinandersetzen. Und der beste Ort dafür ist das Europaparlament.