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Politik

Keine Sieger

7. Juli 2018

Nach wochenlangem Regierungsstreit um die Asylpolitik heißt es kurz vor der Sommerpause: Wir haben uns geeinigt! Der Schaden ist trotzdem groß. Und zwar für alle, meint Rosalia Romaniec.

Sie haben sich geeinigt: CSU-Chef Horst Seehofer und CDU-Chefin Angela MerkelBild: picture-alliance/dpa/K. Nietfeld

Um den aktuellen Leidensdruck der Deutschen zu begreifen, hilft auch ein kurzer Blick auf die Wetterkarte: Rein meteorologisch betrachtet erlebt Deutschland nämlich gerade ein Sommermärchen. Temperaturen wie in der Toskana! Die Wirtschaft brummt, dem Land geht es gut, die Menschen haben Arbeit und der Urlaub ist in Sichtweite. Die Deutschen haben also Geld und gute Laune. Wären da nicht Blitz und Donner auf der politischen Theaterbühne: Nach gerade mal 100 Tagen im Amt brach zwischen den Regierungsparteien ein Streit über die Asylpolitik aus, der Abgründe offenbarte.

Kurz zur Genese: Nachdem die bayerische CSU, die in Berlin mit in der Regierung sitzt, kurz vor der dortigen Landtagswahl immer mehr Wähler an die populistische AfD verliert, gerät die CSU-Führung in Panik. Also zeigen sie klare Kante gegen die Kanzlerin. Ein Vorgehen, das man inhaltlich nachvollziehen kann - denn viele Probleme resultierend aus der Flüchtlingskrise 2015 sind immer noch ungelöst und immer weitere Migranten kommen nach Europa. Doch die Art und Weise, wie die Bayern den Streit vom Zaun gebrochen haben, war stillos - gar abstoßend.

Niveau zum Fremdschämen

Die verbalen Attacken gegen Angela Merkel erreichten vor wenigen Tagen ein Niveau zum Fremdschämen. Einen solchen Ego-Trip erlebt man auf der politischen Bühne in Deutschland nur selten. Das Ziel des Bundesinnenministers Horst Seehofer, der zugleich CSU-Vorsitzender ist, war durchschaubar: Angela Merkel zu schwächen oder gleich ganz zu stürzen. Dass sie damit die Stabilität Deutschlands und der EU gefährden, war dem bayerischen CSU-Fürsten und seinen Gesinnungsgenossen offenbar egal. Wer so vorgeht, darf sich nicht wundern, wenn seine Umfragewerte abstürzen. Bei Seehofer fielen sie am stärksten - um fast ein Drittel. Fulminant verzockt, Herr Minister!

Rosalia Romaniec leitet die Redaktion PolitikBild: DW/B. Geilert

Das Ansehen der Kanzlerin hingegen ist nahezu stabil: Sie steuerte mit ruhiger Hand durch die stürmischen Tage und setzte dem Poltern der CSU ein Maximum an Pragmatismus entgegen. So gesehen hat sie das Duell mit ihrem rebellischen Innenminister für sich entschieden. Doch gestärkt geht sie aus dieser Schlacht nicht hervor: Denn das Ausmaß der Angriffe, die Angela Merkel um des Frieden Willens über sich ergehen lassen musste, hat auch sie beschädigt.

"Ich lasse mich nicht von einer Kanzlerin entlassen, die nur wegen mir Kanzlerin ist" - nach dieser Interviewaussage hätte Merkel ihren Innenminister eigentlich feuern müssen. Doch sie tat es nicht, entschied sich lieber für den Machterhalt - und das war klug. Denn nur so konnte sie ihre Regierung vor dem Kollaps retten und damit die Stabilität erhalten. Die Politikverdrossenheit jedoch hat sich durch das sommerliche Schmierentheater allerdings noch mehr verstärkt. Nach der jüngsten Umfrage sind 78 Prozent der Bundesbürger unzufrieden mit der Arbeit der der Regierung.

Die nächste Krise kommt zwangsläufig

Viele Beobachter bescheinigen der Kanzlerin das Talent, Konflikte stets vom Ende her zu denken. Wenn das stimmt, müsste ihr klar sein, dass die nächste Krise zwangsläufig kommt. Wahrscheinlich schon im Herbst, sollten die Wahlen in Bayern für den Koalitionspartner CSU schiefgehen. Mit Blick auf diesen Termin wird die Kanzlerin immer öfter nach ihrem Plan B gefragt. Oder die CDU nach einem Plan ohne Angela Merkel.

Vorerst aber ist das Schlimmste abgewendet. Die Kanzlerin, die viele "Mutti" nennen, hat noch einmal die Familie zusammengehalten. Die Deutschen  können jetzt beruhigt in den Sommerurlaub fahren. Um diesen beinahe grenzenlosen Pragmatismus der Regierungschefin wird Deutschland vielerorts beneidet. Innenpolitisch schadet er aber auch zunehmend ihrer Integrität.

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