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Politik

Kiew scheitert, Krim gewinnt

19. April 2017

Tragik und Triumph sind vor Gericht Geschwister. Das musste die Ukraine am Mittwoch vor dem Internationalen Gerichtshof erfahren. Ein Erfolg und eine Niederlage für Kiew – beides zu Recht, meint Christian F. Trippe.

Internationaler Gerichtshof: Abkommen von Minsk mit Leben füllenBild: picture-alliance/AP Photo/P. Dejong

Das Recht ist bekanntlich nur bedingt tauglich, um die Probleme der internationalen Politik zu lösen, zumal wenn Konflikte gewaltsam ausgetragen werden. Das Recht kann dann bestenfalls einhegen und das Schlimmste  verhindern. Einen politischen Ausweg aus der Konfrontation bietet die Jurisprudenz nicht. Diese Einsicht bestimmte das Urteil der Richter am höchsten UN-Gericht in Den Haag. Die Regierung in Kiew hatte es angerufen, hatte auf Eilentscheidungen gegen Russland gedrängt.

Russland unterstützt die Separatisten in der Ost-Ukraine seit dem Frühjahr 2014 aktiv – mit Waffen und Soldaten, mit Geld und Nachschub aller Art. Unter Experten ist unumstritten, dass ohne Moskaus Hilfe die selbsternannten "Volksrepubliken" von Luhansk und Donezk nicht überlebensfähig wären. Sie wären also wieder Teil des souveränen Nationalstaates Ukraine. Der führt gegen die Aufständischen einen Krieg, den die Verantwortlichen in Kiew "Anti-Terroristische Operation" getauft haben. Denn der Aufstand im Donbass gilt in Kiew als Akt des Terrors, und wer ihn unterstützt, muss folglich ein Terrorhelfer sein, den es anzuklagen gilt.

Dieser simplen politischen Kampflogik wollte das Weltgericht nicht folgen. Ein Narrativ der Mobilisierung liefert keine gerichtsfesten Beweise. Erst eine Beweiserhebung in der Hauptverhandlung könnte da weiterhelfen, doch die dürfte viele Jahre dauern. Folgerichtig sagen die UN-Richter in Richtung aller Konfliktparteien: Kümmert euch doch bitte erst einmal darum, dass das Abkommen von Minsk mit Leben gefüllt wird! Jener Befriedungsplan, den der UN-Sicherheitsrat mit einer Resolution adoptiert hat. Den aber bislang keine Seite befolgt.

Christian F. Trippe, KiewBild: DW

Und noch etwas hält das Gericht fest, nicht ohne bitteren Unterton: Den Abschuss des Passagierfluges MH-17 über dem Kriegsgebiet – er kostete im Juli 2014 fast 300 unbeteiligten Menschen das Leben – kann es nicht untersuchen. Denn sein Auftrag ist beschränkt. Auch die Richter wissen: Es war Russland, das im UN-Sicherheitsrat eine förmliche – und gerichtfeste – Untersuchung des Vorfalls mit seinem Veto verhindert hat. Wahrscheinlich, um die Separatisten zu schützen, denen der Abschuss des Flugzeuges gemeinhin zur Last gelegt wird, vielleicht aber auch, um die eigene Verstrickung zu kaschieren. Der Verdacht wiegt schwer.

Nun trägt die Führung in Moskau erst einmal am zweiten Teil des Urteilsspruchs vom Mittwoch. Die Richter in Den Haag stellen unmissverständlich fest: Nach der Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim im März 2014 läuft dort einiges schief. Es läuft jedenfalls nicht so, wie einschlägige UN-Konventionen sich ein multiethnisches Zusammenleben vorstellen. Konkret heißt das: Russland soll sofort "jegliche Formen der rassischen Diskriminierung" einstellen.

Interessant die Details der Urteilsfindung: Mit 13 zu drei Stimmen fordert das Gericht die Führung in Moskau auf, den Krimtataren ihr traditionelles Organ  der Selbstverwaltung zurück zu geben. Russland hatte nach der Annexion den sogenannten "Medschlis" der Tataren aufgelöst und verboten. Im Gericht sitzt auch ein Richter aus Russland. Einstimmig erging die Aufforderung an Russland, den Schulunterricht in ukrainischer Sprache auf der Krim sicher zu stellen.  

Das ist eine schallende Ohrfeige für Moskau. Offiziell behauptet Russland bis heute, auf der Krim gebe es praktisch nur Russen; die Bevölkerung der Krim habe von sich aus – ganz ohne Hilfe der grünen, schwerbewaffneten Männchen aus Moskau – nach dem Anschluss an Russland gerufen.

Das ist ein großer Erfolg für Kiew. Denn wer spricht denn überhaupt noch über die Krim, wenn er über die Ukraine-Krise redet? Der Anspruch der Ukraine auf die Krim droht zu einem abstrakten Rechtstitel zu welken. Nun ist dank dem Richterspruch klar: Es geht dort um Menschen, denen Unrecht widerfährt.

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