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Politik

Das große Scheitern

30. Juni 2019

Die Suche nach einem Kita-Platz in Deutschland gestaltet sich vielfach immer noch so langwierig und erniedrigend wie die Teilnahme bei "Germany's Next Topmodel", meint Nemanja Rujević auf Basis eigener Erfahrungen.

Essen in der Kindertagesstätte
Bild: picture-alliance/dpa/W. Grubitzsch

"Wir haben ihn!" rief mir jüngst meine Frau mit zitternder Stimme zu, zutiefst berührt. Einen Lottogewinn? Den Nobelpreis?

Nein, nach monatelangen Pilgertouren zwischen Kindertagesstätten (Kitas), Tagesmüttern und Behörden in Bonn, nach all diesen mitleidigen Blicken und einigen genialen Lösungsvorschlägen - "Sie sollten gar nicht arbeiten gehen, bis das Kind drei Jahre alt ist" oder "Vielleicht kaufen Sie ein zweites Auto und fahren das Kind in eine 15 Kilometer entfernte Kita" - haben wir bloß für unsere einjährige Tochter einen Platz bei einer Tagesmutter um die Ecke gefunden.

Alles in Butter also? Naja. Die freundliche Dame ist uns zwar sehr sympathisch, aber sie arbeitet nur von 8 bis 15 Uhr, weshalb meine Frau nun unfreiwillig in Teilzeit wechseln muss. Doch nach einer solchen Odyssee nimmt man, was man kriegen kann. Auch bei unserer ersten Tochter war das schon so - sie kam damals in einer sehr teuren privaten Kita unter.

Nicht nur Plätze, vor allem auch Erzieher fehlen

Sechs Jahre, nachdem die Bundesregierung den einklagbaren Rechtsanspruch auf Kita- und Krippenplätze eingeführt hat, fehlen bundesweit immer noch fast 300.000 Plätze für unter Dreijährige. Dabei müssen nur 40 Prozent der Kleinsten überhaupt betreut werden - alle anderen bleiben in ihren Familien. Das ist eines der wenigen Dinge, die Westdeutschen von den Ostdeutschen hätten lernen sollen: Im früheren kommunistischen Teil Deutschlands besuchen immerhin 57 Prozent der Ein- und Zweijährigen eine Krippe.

So bleibt die Kleinkinderbetreuung auf der Strecke, auch 20 Jahre nachdem Gerhard Schröder den Arbeitsmarkt liberalisierte, dabei aber dummerweise vergaß, dass sich auch jemand um die Kinder der immer "flexibler" werdenden Arbeitnehmer kümmern muss. Aber für Schröder war ja Familienpolitik bekanntermaßen nur "Gedöns". Für die darauffolgende Regierungen angeblich nicht - und trotzdem hat sich nichts grundlegend geändert.

Das Fiasko der Christ- und Sozialdemokraten ermisst sich nicht allein an der Zahl der fehlenden Betreuungsplätze. Schlimmer noch: Es gibt viel zu wenige Erzieherinnen und Erzieher! Der Staat verfügt nicht einmal über belastbare Schätzungen - mal ist die Rede von gegenwärtig 100.000 fehlenden Erziehern, dann wieder von gigantischen 300.000 Fachkräften, die in fünf oder zehn Jahren gebraucht werden.

DW-Redakteur Nemanja Rujevic ist zweifacher VaterBild: DW

Eine Ursache hierfür könnte sein, dass junge Menschen in einem der reichsten Länder der Welt sich nicht für einen komplexen und verantwortungsvollen Beruf begeistern können, in dem man während der Ausbildung meistens keinen Lohn bekommt und das Einstiegsgehalt bei schlanken 2500 Euro brutto liegt. Man müsse dieArbeit mit Kindern "aufwerten", betonen die Gewerkschaften immer wieder, um sich dann nach wochenlangen Streiks, die für die Eltern der reinste Horror sind, mit einer mickrigen Lohnerhöhung zufriedenzugeben.

Die Politik tut so, als brauche man nur einige Stellschrauben zu drehen, ein paar Steuermillionen mehr zu verteilen, einen tollen Werbespot mit Ministerin Franziska Giffey zu zeigen - und dann würde es schon irgendwie besser werden. Andererseits plant man den berühmten "großen Wurf" fürs Klima, die Digitalisierung, den Verkehr und die Renten - bei der frühkindlichen Betreuung hört man hingegen nichts in dieser Richtung.

Blöd auch, dass man das Problem nicht mit dem massiven Anwerben von Verzweifelten auf dem Balkan oder den Philippinen lösen kann. In der Altenpflege mag das noch funktionieren, in Kindergärten und Schulen nicht - will man in Deutschland den Kindern doch immer noch die deutsche Sprache vernünftig beibringen.

Leere Versprechen

Der gesetzlich garantierte Krippenplatz war von Anfang an nicht einzuhalten und die Klagewelle der aufgebrachten Eltern absehbar. Wie nennt man übrigens politische Versprechen, die man abgibt, weil das Volk sie gerne hört, obwohl man keine Ahnung hat, wie man sie umsetzen könnte? Richtig: Populismus nennt man das, und diesen gibt es ganz offensichtlich auch bei den Volksparteien der politischen Mitte. Wie gut, wenn die sich dann darauf konzentrieren können, vor allem die Parteien an den politischen Rändern als Populisten zu brandmarken.

Dabei sollte es sich um ein Herzensanliegen des ganzen politischen Spektrums handeln. Denn eine gute Betreuung ist Voraussetzung für gelungene Integration von Migrantenkindern, Geschlechtergerechtigkeit, Wirtschaftswachstum und damit auch höhere Steuereinnahmen. Und nicht zuletzt sind junge Eltern eine wichtige Wählergruppe, die auch noch in ein paar Jahrzehnten wählen gehen wird. Die nervenaufreibende Suche nach einem Betreuungsplatz, die ihre ganzen Lebenspläne über den Haufen werfen kann, werden sie jedenfalls nicht so schnell vergessen.

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