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Politik

Kolumbien versagt im Kampf gegen die Gewalt

Thofern Uta 62 Latin Berlin 201503 18
Uta Thofern
24. August 2020

Den brutalen Tod von mindestens 33 Jugendlichen in nur zwei Wochen verharmlost Präsident Ivan Duque als "kollektive Morde". So wird er das Land ebenso wenig sicherer machen wie seine Vorgänger, meint Uta Thofern.

Freunde und Verwandte tragen den Sarg von einem der fünf Jugendlichen, die in einem Zuckerrohrfeld ermordet wurdenBild: Getty Images/AFP/L. Rubavo

Das jüngste Opfer war 14 Jahre alt. Jair war mit vier Freunden unterwegs zu einer Zuckerrohrplantage, als er zum letzten Mal gesehen wurde. Ihre Eltern fanden sie im Gebüsch: erschossen, erstochen, einem war die Kehle aufgeschlitzt worden. Die fünf Schüler lebten südöstlich von Cali in einer afro-kolumbianischen Gemeinde; ihre Eltern sind einfache Arbeiter.

Die acht jungen Leute, die ein paar Tage später 500 Kilometer entfernt bei einer Party in Samaniego ermordet wurden, hatten ein ganz anderen Hintergrund. Die meisten waren Studenten aus der Mittelschicht - Kinder von Lehrern, Händlern, Ärzten. Sie hatten nichts gemeinsam mit den drei anderen Jugendlichen, die wenige Tage später in derselben Region Nariño tot aufgefunden wurden und die dem indigenen Volk der Awá angehörten.

Eine totale Sinnlosigkeit des Geschehens

Über die 17 Opfer des vergangenen Wochenendes ist bisher weniger bekannt. Fünf waren es in der Nähe von Arauco nahe der Grenze zu Venezuela, sechs in El Tambo in der Region Cauca, sechs weitere in einem Dorf bei Tumaco, wie Samaniego in der Region Nariño an der ecuadorianischen Grenze gelegen.

Uta Thofern leitet die Lateinamerika-Programme

Was die 33 Opfer miteinander verbindet, ist die Unerklärlichkeit ihres Todes, die totale Sinnlosigkeit des Geschehens. Und die Tatsache, dass ihr jugendliches Alter und die zeitliche Nähe der Ereignisse mehr Diskussionen auslöst als die "üblichen" Gewalttaten, an die sich Kolumbien sich in den zurückliegenden Jahrzehnten gewöhnt hat. Die Vereinten Nationen haben im vergangenen Jahr 36 Massaker gezählt - also durchschnittlich drei pro Monat. In diesem Jahr liegt die Zahl schon jetzt darüber.

Wer die Täter sind, bleibt in den meisten Fällen unklar. Die üblichen Verdächtigen sind Mitglieder der letzten verbliebenen Guerilla ELN - abtrünnige Mitglieder der FARC-Guerilla, die sich der Entwaffnung entzogen haben - und der organisierte Drogenhandel, der mittlerweile in weiten Teilen von mexikanischen Kartellen gesteuert wird.

Hochgradig politisierte Debatte um Gewalt und Sicherheit

Paramilitärische Gruppen, die ebenfalls für Verbrechen verantwortlich sein sollen, werden von Regierungsseite derzeit nicht erwähnt. Dem vorletzten Präsidenten Álvaro Uribe werden Verbindungen zu diesen Gruppen nachgesagt, in diesem Zusammenhang steht er aufgrund eines Beschlusses des Obersten Gerichtshofs momentan unter Hausarrest. Und Uribe ist der Mentor des jetzigen Präsidenten Duque.

Unabhängig davon, welche der verschiedenen bewaffneten Gruppen für welches Verbrechen verantwortlich ist, zeigen das Verhalten und die Wortwahl der Regierung - wie übrigens auch der Opposition -, wie hochgradig politisiert die Debatte um Gewalt und Sicherheit im Lande ist. Entscheidend für die jeweilige Position ist die Haltung zum Friedensprozess mit der FARC.

Die Vorgängerregierung unter Friedensnobelpreisträger Santos sah tatenlos zu, wie sich verschiedene bewaffnete Gruppen das Machtvakuum in den von der FARC geräumten Gebieten zunutze machten. Das Motto schien: Lieber schweigen, als Kritik am Friedensprozess aufkommen lassen. Und die nächste Wahl gewinnen. Gewonnen hat aber mit Ivan Duque ein Zögling des Mannes, der wie kein anderer für eine Politik der kompromisslosen militärischen Gewalt gegen die Guerilla stand und deswegen auch den Friedensprozess bekämpfte wie kein anderer. Einen Blick auf die möglichen sozialen Ursachen für die Entstehung der Guerilla gestattet sich dieses Lager bis heute nicht.

Der Friedensschluss hat noch keinen Frieden gebracht

Verantwortlich für das Schicksal seines Landes ist im Moment Ivan Duque. Ein Präsident, dem nach der Ermordung von 33 jungen Menschen als Erstes einfällt, dass diese Taten keinesfalls als Massaker zu bezeichnen seien, sondern als "kollektive Morde". Und der als Zweites auf die beinahe ebenso schlechte Mordstatistik seines Vorgängers hinweist. Was hilft das den Müttern und Vätern der Toten? Was den Eltern, deren Kinder nächstes Wochenende eine Party planen? Werden dadurch die Infrastruktur und die Wirtschaft der vielen von der Regierung im Stich gelassenen Regionen verbessert?

Es geht in Kolumbien nicht nur um Sicherheit. Aber ein Frieden auf dem Papier allein genügt auch nicht. Für eine wirklich friedliche Zukunft braucht es eine handlungsfähige Regierung, die sich der krassen sozialen Ungleichheit annimmt und in die vergessenen Regionen investiert. Duque hat nur noch zwei Jahre Zeit sich zu emanzipieren; das wird kaum reichen. Die internationale Gemeinschaft sollte sich von der Illusion verabschieden, dass mit dem Friedensschluss das Thema Kolumbien erledigt sei.

Uta Thofern Leiterin Lateinamerika-Redaktionen, Schwerpunkt Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte
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