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Politik

Kopflose Kanzlerkandidatur

25. Januar 2017

Das Geheimnis über den Herausforderer Angela Merkels bei der Bundestagswahl 2017 sollte am Sonntag gelüftet werden. Mit dem Bruch dieser Vereinbarung hat Sigmar Gabriel die SPD unnötig belastet, meint Marcel Fürstenau.

Bild: picture-alliance/dpa/Hannibal

"Gemessen an dem, was uns vorhergesagt wurde vor drei Monaten, haben wir doch eine ziemliche Punktlandung gemacht." So kommentierte Sigmar Gabriel am Dienstagabend das furiose Finale der Posse um den Kanzlerkandidaten der SPD. Mit dieser flapsigen Bemerkung wollte der Partei-Chef auf Abruf seinem Verzicht auf das Duell mit Angela Merkel eine gewisse Leichtigkeit verleihen. Doch der Versuch misslang, musste misslingen. Er wirkte schon deshalb krampfhaft, weil die SPD spätestens seit Merkels im November erklärter Bereitschaft für eine vierte Kandidatur unter Hochdruck stand. Getrieben von Journalisten und den eigenen Genossen. 

Sie alle spekulierten über Ambitionen und Fähigkeiten des Wirtschaftsministers. Will er überhaupt antreten? Soll er antreten? Muss er antreten? An einem Befund kam dabei von Anfang niemand vorbei: Im direkten Vergleich mit Merkel wäre Gabriel absolut chancenlos. In Umfragen liegt der 57-Jährige stets weit abgeschlagen hinter der Amtsinhaberin. Nun könnte man darauf verweisen, dass der Regierungschef oder die Regierungschefin vom Parlament gewählt wird. Aber das Spitzenpersonal ist nun einmal neben aller Programmatik ein entscheidender Faktor für die Wahlentscheidung.

Die SPD hätte sich und der Öffentlichkeit einiges ersparen können

Vor diesem Hintergrund hätte die SPD schon viel früher ihren Kanzlerkandidaten benennen können, ja müssen. Schließlich weiß sie seit langem, wie vergleichsweise beliebt der nun gekürte Martin Schulz in der Bevölkerung ist. Sein Wechsel von Brüssel nach Berlin wurde wenige Tage nach Merkels Vorpreschen in der sogenannten K-Frage publik. Kein Wunder, dass er sofort als möglicher Kontrahent der Kanzlerin gehandelt wurde. Hätte die SPD damals Nägel mit Köpfen gemacht, wäre ihr Vieles erspart geblieben. Stattdessen ließ sie die Öffentlichkeit im Ungewissen und beharrte geradezu stur darauf, an ihrem Zeitplan festzuhalten: Kandidaten-Kür Ende Januar.

DW-Hauptstadtkorrespondent Marcel FürstenauBild: DW/S. Eichberg

Es mag ja sein, dass Gabriel lange mit sich gerungen hat. Menschlich verständlich ist das allemal. Sieben Jahre lang hat er die SPD durch ein tiefes Tal mit miserablen Werten für seine Partei und sich selbst geführt. Dass Gabriel trotzdem hoffte, eine Trendwende mit ihm sei möglich, mutete zunehmend wie Realitätsverweigerung an. Das gilt auch für die Genossen insgesamt. Anscheinend hatte niemand den Mut, den glücklosen Parteichef zum Rückzug zu bewegen. Oder der Bedrängte brauchte wirklich so lange, um sich endgültig von seinem politischen Lebenstraum zu verabschieden: deutscher Kanzler zu werden.

Gabriels grotesker Dank an die Genossen

Mit dem Timing und den Begleiterscheinungen seines Verzichts hat der wankelmütige Gabriel sich und seine Genossen nun zusätzlich geschwächt. Noch am Montag verschickte die Parteizentrale eine Pressemitteilung über den Ablauf der am Sonntag beginnenden Klausur: "Vorstellung des SPD-Kanzlerkandidaten" um 13 Uhr. Tags darauf kursieren auf unterschiedlichen Kanälen Gerüchte, der Name könnte früher durchsickern. Dass es Gabriel werden würde, hatten verschiedene Medien mit einem kurzen Draht zu Gabriel und der Partei insgesamt ("Bild", "Berliner Zeitung") schon vor Wochen verkündet.

Dass es anders kam, darüber freut sich nun die Illustrierte "Stern", der Gabriel seine Entscheidung exklusiv anvertraute. Über diese Art der Kommunikation in einer die Öffentlichkeit seit Monaten bewegenden Frage sind Viele verwundert und verärgert. Sie sind es zu Recht - innerhalb wie außerhalb der Partei. Besonders grotesk mutet Gabriels Dank an alle in den eigenen Reihen an, "die dem relativ großen medialen Druck standgehalten haben". Nur einer hat es nicht getan: er selbst. Fünf Tage vor der geplanten Kandidaten-Kür brüskiert Gabriel seine Partei und vergibt mit ihr gemeinsam eine letzte kleine Chance.

Die SPD ist immer für eine Überraschung gut - wie wahr!

Die hätte darin bestanden, den Zeitplan durchzuhalten und die Katze dann aus dem Sack zu lassen. Wie groß wäre das Erstaunen am Sonntag gewesen: Alle Welt rechnet mit Gabriel und Schulz wird es. Der Tenor hätte gelautet: "Die SPD ist immer für eine Überraschung gut!" Es wäre eine positive Überraschung gewesen. Die SPD hätte eine souveräne Entscheidung getroffen und vor allem: selbst verkündet. So aber ist es eine negative Überraschung: Gabriel schert aus und nutzt den "Stern" als Bühne. Da verlässt einer den Chefsessel, der zweifellos seine Verdienste um die SPD hat. Aber die kopflose Kandidaten-Kür ist irritierend. Und für den Merkel-Herausforderer Schulz eine völlig überflüssige Hypothek.          

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Marcel Fürstenau Autor und Reporter für Politik & Zeitgeschichte - Schwerpunkt: Deutschland
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