1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
PolitikEuropa

Ein Schritt in die richtige Richtung

6. August 2020

25 Jahre nach der Militäraktion, mit der das von Serben besetzte Staatsgebiet Kroatiens befreit wurden, ist endlich Bewegung in den kroatisch-serbischen Versöhnungsprozess gekommen, meint Andrea Jung-Grimm.

Zentrale Gedenkveranstaltung zum 25. Jahrestag der Operation "Oluja" im kroatischen KninBild: picture-alliance/AP/D. Bandic

Was bis vor einer Woche kaum denkbar war, ist am Mittwoch (05.08.) endlich geschehen: Mit Vize-Premier Boris Milošević nahm erstmals ein hoher Vertreter der serbischen Minderheit in Kroatien an der zentralen Gedenkfeier zum 25. Jahrestag der Militäroperation "Oluja" ("Sturm") teil.

Bisher begingen die Bürger des EU-Mitglieds den 5. August stets getrennt: Die kroatisch-katholische Mehrheit feierte die Befreiung eines guten Viertels des Staatsterritoriums von der Besetzung durch aus dem Nachbarland unterstützte serbische Separatisten. Mehr als vier Jahre Krieg kosteten den jungen Staat, der sich 1991 von Jugoslawien abgespalten hatte, über 20.000 Menschenleben.

Schandfleck am kroatischen Sieg

Die heute nur noch rund fünf Prozent der Bevölkerung umfassende serbisch-orthodoxe Minderheit dagegen trauerte am 5. August über die Vertreibung von nach unterschiedlichen Quellen 90.000 bis 250.000 Serben aus Kroatien. Diese waren Nachfahren von Wehrbauern, die die Habsburger Jahrhunderte zuvor an der Grenze zum damals osmanischen Bosnien angesiedelt hatten. Mindestens 410 Serben, die nicht vor den kroatischen Streitkräften geflohen waren, wurden damals getötet, Tausende serbische Häuser geplündert und zerstört.

Diese Verbrechen haften bis heute wie ein Schandfleck am kroatischen Sieg.

Premier Andrej Plenković persönlich hatte Miloševićs Teilnahme am vergangenen Donnerstag (30.08.) angekündigt - und gleichzeitig mitgeteilt, Vize-Premier Tomo Medved von der konservativen Regierungspartei HDZ werde Ende August einen Kranz zu Ehren der serbischen Opfer von "Oluja" niederlegen.

Ist der Schritt zu groß oder zu klein?

Bereits am nächsten Tag gab es eine Welle von empörten Reaktionen - von beiden Seiten. Serbiens Präsident Aleksandar Vučić teilte mit, Milošević legitimiere mit seiner bloßen Anwesenheit bei der Gedenkfeier "die ethnische Säuberung" Kroatiens von seinen Serben.

Die gebürtige Kroatin Andrea Jung-Grimm ist seit 20 Jahren Redakteurin bei DW-KroatischBild: DW

Kritikern auf der kroatischen Seite hingegen ging Miloševićs Schritt nicht weit genug. Sie verlangen, der kroatische Serbe, dessen Vater auf kroatischer Seite gekämpft hatte und dessen Großmutter nach "Oluja" ermordet wurde, müsse explizit sagen, dass "Oluja" keine ethnische Säuberung war.

Vorsichtige De-Radikalisierung

Aber es gab auch viele positive Reaktionen kroatischer Politiker, nicht nur von Staatspräsident Milanović von den oppositionellen Sozialdemokraten. Bei der Gedenkveranstaltung schlugen alle Redner versöhnliche Töne an. Und würdigten zum ersten Mal ausdrücklich die serbischen Opfer von "Oluja".

Das weckt nach Jahrzehnten des Zwistes große Hoffnungen für das Zusammenleben von Kroaten und Serben in Kroatien. Und die scheinen erstmals durchaus berechtigt, denn Premier Plenković betreibt bereits seit einiger Zeit eine Politik der vorsichtigen De-Radikalisierung seiner Partei.

Plenkovićs Prüfung

Im März hat Plenković seine erste große Prüfung auf diesem Weg mit Bravour bestanden: Bei den innerparteilichen Abstimmungen siegten er und der von ihm geführte gemäßigte Flügel haushoch über die Kandidaten der Rechten. Das ermöglichte dem Premier, bei den Parlamentswahlen im Juli überwiegend "seine" Leute zu nominieren. Dass die HDZ dann bei diesen Wahlen überraschend hoch gewonnen hat, hat Plenković und seine Politik bestätigt.

Nach den Wahlen ging der Premier dann noch weiter: Obwohl viele erwartet hatten, dass die HDZ nun mit der rechten "Heimatbewegung" (Domovinski pokret) koalieren würde, entschied sich Plenković für die Partnerschaft mit ein paar kleinen konservativen Parteien und Vertretern der nationalen Minderheiten - darunter auch die der serbischen.

Damit hat Plenković alle Voraussetzungen geschaffen, seine Partei aus der rechten Ecke in Richtung bürgerliche Mitte zu führen. Und so den Beginn des Versöhnungsprozesses mit den kroatischen Serben ermöglicht.

Was den Bürgern wirklich wichtig ist

Der Schritt, der nun am Mittwoch gemacht wurde, ist weder zu klein noch zu groß - sondern genau der passende. Jetzt ist es wichtig, dass weitere Schritte folgen. Für die große Mehrheit der Bevölkerung in den einst besetzten Gebieten Kroatiens - egal, ob Kroaten oder Serben - ist heute anderes weit wichtiger als ihre nationale Zugehörigkeit: zum Beispiel so banale Dinge wie ein Wasser- und Stromanschluss (ja, denn im EU-Mitgliedsland Kroatien gibt es immer noch Haushalte ohne Strom und fließendes Wasser!), außerdem natürlich Arbeitsplätze und die Verkehrsinfrastruktur.

Übrigens: Über 100.000 Serben sind seit "Oluja" wieder in ihre Heimat in Kroatien zurückgekehrt.

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen