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Politik

Folgenlose Forderungen

12. November 2018

Zu Recht prangert Deutschlands Außenminister Maas Chinas brutale Unterdrückungspolitik gegenüber den Uiguren an. Aber um Wirkung zu entfalten, braucht es einen gemeinsamen europäischen Ansatz, meint Matthias von Hein.

Bild: imago/T.Imo

Wie sehr Sprache lügen kann. Oder Namen: Chinas Nordwestprovinz Xinjiang heißt wörtlich auf chinesisch: "Uigurische Autonome Region Xinjiang". Aber autonom ist hier nichts, und der massenhafte, staatlich organisierte Zuzug von Han-Chinesen in die rohstoffreiche Provinz hat die Uiguren längst zur Minderheit in Xinjiang gemacht. Zur massiv unterdrückten Minderheit.

In Xinjiang führt die chinesische Regierung ein monströses Experiment durch: Durch eine Kombination aus modernster Überwachungstechnologie, klassischen polizeistaatlichen Methoden und gigantischen Umerziehungslagern treibt sie einem ganzen Volk seine ethnische Identität und Religion aus - und impft ihm stattdessen unerbittlichen Gehorsam gegenüber der allmächtigen Kommunistischen Partei ein.

Ein Volk unter Generalverdacht

Im August hatte das UN-Komitee für die Beendigung rassischer Diskriminierung von glaubhaften Berichten gesprochen, denen zufolge rund eine Million Menschen in den Internierungslagern ohne Prozess festgehalten werden. Das wäre bei rund zehn Millionen Uiguren jeder zehnte! Dass diese Internierungslager überhaupt existieren, hat China erst im Oktober nachträglich eingeräumt. Und begründet mit dem Kampf gegen Terror und Extremismus.

DW-Redakteur Matthias von Hein

Tatsächlich kommt es immer wieder zu Anschlägen in Xinjiang. Aber Peking hat selbst jene Stimmen zum Schweigen gebracht, die sich für Austausch, Verständnis und Brückenbildung eingesetzt haben. Stimmen wie Ilham Tohti. Der Wirtschaftsprofessor hat jahrelang für einen friedlichen Dialog geworben. Dennoch wurde Tohti, Träger mehrerer Menschenrechtspreise, 2014 wegen angeblichem "Separatismus" verhaftet und anschließend zu lebenslanger Haft verurteilt. 

Insofern ist es richtig und wichtig, dass Heiko Maas bei seinem Antrittsbesuch in Peking die Umerziehungslager mit klaren Worten kritisiert. Was allerdings aus seinen Worten folgen wird, diese Lager seien "nicht hinnehmbar", wird man sehen. Ob China nach dem Einspruch des deutschen Außenministers ein Einsehen haben und seine Politik ändern wird? Wohl kaum. Schon als in einer Bundestagsdebatte Kritik an den chinesischen Menschenrechtsverstößen geübt wurde, hatte die chinesische Botschaft in Berlin scharf reagiert - und Konsequenzen angedroht für den Fall, dass die Kritik nicht abreiße.

Zweierlei Maas?

Dass die Bundesregierung nach rhetorischen Breitseiten zurückrudert, wenn es anfängt, wirtschaftlich weh zu tun, weiß man aus dem Umgang mit Saudi-Arabien: Ausgerechnet Heiko Maas hatte im September am Rande der UN-Vollversammlung gegenüber dem saudischen Außenminister Al-Dschubeir sein "aufrichtiges Bedauern" über die Kritik seines Vorgängers Sigmar Gabriel kundgetan. Gabriel hatte – ohne Saudi-Arabien beim Namen zu nennen – Riad "außenpolitisches Abenteurertum" vorgeworfen, nachdem die Saudis im November letzten Jahres den libanesischen Ministerpräsidenten Hariri bei einem Besuch in der saudischen Hauptstadt festgesetzt und zum Rücktritt gezwungen hatten. Besonders bittere Note: Maas Entschuldigung kam eine Woche vor dem grausamen Mord am Journalisten Jamal Kashoggi im saudischen Konsulat in Istanbul. Glaubwürdigkeit sieht anders aus.

China aber ist für Deutschland nicht nur wirtschaftlich, sondern auch politisch weit wichtiger als Saudi-Arabien – man denke etwa an die gemeinsamen Bemühungen, das Atomabkommen mit dem Iran zu retten. Wie auf vielen anderen Politikfeldern ist hier Europa gefragt, eine gemeinsame europäische Haltung, ein gemeinsames Vorgehen herauszuarbeiten. Nur so lässt sich Gewicht auf die Waagschale der Politik bringen. Auch wenn es schwierig ist. Peking versteht sich prächtig auf das Prinzip des "Teile und herrsche", auf das Auseinanderdividieren europäischer Hauptstädte durch das selektive Erweisen wirtschaftlicher Gunst.

Ohne europäische Rückendeckung aber läuft Maas mit seiner mutigen Kritik Gefahr, als Tiger zu starten und als Bettvorleger zu landen.

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