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Politik

Macht geht vor Recht

Barbara Wesel Kommentarbild App *PROVISORISCH*
Barbara Wesel
19. November 2019

Die USA demontieren die Grundsätze einer Nahostpolitik, die sich auf internationales Recht berief. Die jüngste Rechtfertigung des israelischen Siedlungsbaus ist nur ein weiterer Schritt, meint Barbara Wesel.

Bild: imago images/UPI Photo

Die jüngste Kehrtwende in der amerikanischen Nahost-Politik ist nur konsequent. Im vergangenen Jahr hatte die Trump-Regierung bereits den umstrittenen Status Jerusalems einseitig neu definiert und die Verlegung ihrer Botschaft angekündigt. Im Frühjahr dann wurde Israel die Hoheit über die annektierten Golan-Höhen zugesprochen. Und jetzt erklärt Außenminister Pompeo, auch der israelische Siedlungsbau im Westjordanland sei nicht mehr "per se unvereinbar mit internationalem Recht".

Die Argumentation Pompeos ist dabei die zynische Umdeutung von Fakten in juristische Positionen. Zwar ist es richtig, dass die Berufung auf internationales Recht Israel nicht davon abgehalten hat, im Westjordanland Siedlungen zu bauen. Sie gab aber den dort vertriebenen Palästinensern rechtlich zumindest noch eine Verhandlungsposition. Die US-Regierung will ihnen die nun auch noch nehmen.

Die USA beenden den Friedensprozess

Es habe den Friedensprozess nicht voran gebracht, erklärte Pompeo weiter, die Siedlungen für illegal zu erklären. Das ist zwar wahr, aber es wird den Friedensprozess auch nicht voranbringen, die Folgen israelischer Militärmacht kurzum für rechtens zu erklären. Tatsächlich beendet Washington mit dieser Serie einseitig pro-israelischer Entscheidungen jeden Friedensprozess, der den Namen verdienen würde.

Barbara Wesel ist Europa-Korrespondentin in Brüssel

Noch 2016 hatte der UN-Sicherheitsrat Israel zu einem vollständigen Siedlungsstopp in den besetzten Gebieten aufgefordert - aber die USA halten die Vereinten Nationen sowieso für eine überflüssige Einrichtung. Was schert Washington also das dumme Geschwätz der internationalen Staatengemeinschaft, wenn nur noch die Macht gelten soll, die aus den Mündungen von Gewehren kommt. Es ist der Rückfall internationaler Politik in frühneuzeitliche Zustände, wo die politische Realität von marodierenden Söldnerheeren geschaffen wurde.  

Die Europäer haben dem Kurswechsel der USA umgehend widersprochen. Alle Siedlungsaktivitäten seien illegal, unterhöhlten die Tragfähigkeit der Zwei-Staaten-Lösung und die Perspektiven für einen dauerhaften Frieden, sagte EU-Chefdiplomatin Federica Mogherini. Aber solche Erklärungen sind das Papier nicht wert, auf dem sie gedruckt werden, denn den Europäern fehlt die Macht, ihnen Geltung zu verschaffen.

Die EU muss zusehen und ringt die Hände

Nachdem aber Washington unter Trump alles tut, um der Regierung Netanjahu bei ihrem Überlebenskampf zu helfen und den eigenen "großen Nahost-Deal" zu verkaufen, ist für die EU selbst als Vermittler in einer neuen Runde des Friedensprozesses keine Rolle mehr vorgesehen.   

Die jüngste Entwicklung ist für die Europäer in doppelter Hinsicht ein weiterer Rückschlag: Zum einen zeigt sie einmal mehr, dass die EU in der internationalen Politik kein Tiger, sondern allenfalls eine Hauskatze ist. Mit Mühe gelingt es ihr, Konflikte in den eigenen Reihen zu regeln. Darüber hinaus aber entspricht ihre Wirkungsmacht in keiner Weise ihrer wirtschaftlichen Bedeutung.

Der zweite Aspekt ist, dass die Basis der Europäischen Union als Werte- und Rechtsgemeinschaft systematisch infrage gestellt wird. Wenn das internationale Recht zur Regelung von Konflikten nicht mehr taugen soll, müssten sich die Europäer dann nicht auch bis an die Zähne bewaffnen, um ihren Interessen mit Macht Geltung zu verschaffen?

Auf der großen Bühne aber, wo kleine Völker wie die Kurden oder Palästinenser um ihre Zukunft kämpfen, können die Europäer nur hilflos die Hände ringen. Zum einen weil ihnen die Militärmacht fehlt, zum anderen weil sie es im vergangenen Jahrzehnt versäumt haben, eine schlagkräftige Diplomatie aufzubauen, die ihnen eine Rolle in den großen internationalen Konflikten garantieren könnte. Es fehlt an Geschlossenheit und dem Bewusstsein für gemeinsame Interessen. Auch die jüngste Kritik von Frankreichs Präsident Macron wird daran nichts ändern. Er mahnt die Europäer dringend, ihre weltpolitische Rolle auch einzunehmen. Aus ihrer gegenwärtigen Lage außenpolitischer Schwäche heraus können sie aber nur in hilflosem Zorn dabei zusehen, wie Washington kurzerhand Unrecht im Nahen Osten zum neuen Recht erklärt.

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