Macron gibt den Retter Europas
Hier möchte wohl einer der neue König von Europa sein. Der französische Präsident redet jedenfalls so. Und reden kann er. Wer vorher nicht an die EU geglaubt hat, der müsste nach Macrons großem Aufriss zu Geschichte und Zukunft des geeinten Kontinents eigentlich mit fliegenden Fahnen die Lager wechseln. Angela Merkel hat in ihrem ganzen politischen Leben keine solche Rede zu Europa gehalten. Die große Rhetorik ist nicht ihre Sache. Emmanuel Macron hingegen glaubt an die Kraft des Wortes - immerhin hat er so als überzeugter Europäer die Wahlen gewonnen.
En marche - wohin?
Emmanuel Macron will nicht nur Frankreich in Gang setzen, er liefert mit seiner Rede an der Pariser Sorbonne auch gleich die ganze Wegbeschreibung für Europa. Und dabei achtet er genau darauf, dass für alle Adressaten etwas dabei ist. An seine Franzosen gerichtet sind die Passagen zu sozialem Schutz und Solidarität, die gestärkt und ausgebaut werden müssten. Gegen ihre Angst vor "dem Fremden" soll Macrons Beteuerung helfen, dass die EU die Grenzen gemeinsam und effektiv schützen und Migration begrenzen müsse.
Er will eine gemeinsame Asylpolitik und abgelehnte Asylbewerber abschieben lassen. Hier ist ihm nichts zu kleinteilig, der Präsident meint, sonst den Rechtsextremismus zu beflügeln. Über den sagt er mit Blick auf die erstarkende AfD in Deutschland: "Ich dachte, die Vergangenheit würde nicht zurück kommen."
Sein Entwurf hat teilweise den Charakter einer politischen Wundertüte: Es kommt quasi jeder Reformvorschlag vor, der in der jüngeren Vergangenheit in der EU diskutiert wurde. Die Verteidigungsunion, die durch den Brexit plötzlich in greifbare Nähe rückt und deren Grundzüge noch vor Weihnachten beschlossen werden sollen. Lasst uns Soldaten austauschen und in unserem jeweiligen Militär aufnehmen, fügt der französische Präsident hinzu. Geschickt mischt er große Reformvorhaben und kleine Schritte, die das Gefühl von Erfolg vermitteln können.
Er lobt die Idee der Digitalsteuer, die die EU-Finanzminister gerade strittig diskutieren. Große Internetkonzerne sollten sie künftig dort zahlen, wo sie ihre Gewinne erwirtschaften. Macron will eine europäische Agentur für Innovation, die digitale Zukunft gestalten, den Energiemarkt öffnen, Landwirtschaft und Lebensmittelsicherheit schützen - er lässt keines der guten und nützlichen Projekte aus, die in Europa im Großen befürwortet und im Kleinen umkämpft sind.
Für jeden etwas - auch für Berlin
Ein Teil von Emmanuel Macrons Zukunftsentwurf richtet sich direkt an Berlin. Er gratuliert Angela Merkel zu ihrem Sieg und weiß dabei, dass er in Europa nach diesem Wahlsonntag gemeinsam mit ihr schwächer geworden ist. Und der französische Präsident spricht ihr Mut zu für die Auseinandersetzung mit den Rechtsextremen, schließlich kennt er aus seiner Erfahrung mit dem Front National den Kampf gegen die Nationalisten und Populisten.
Und fast wie nebenbei kommt Macron dann auch auf das Thema Eurozone: Die EU brauche ein gemeinsames Budget, um ökonomische Schocks abzuwehren. Das solle sich zunächst aus der neuen Digitalsteuer speisen. Und ja, er will auch einen Minister, der für die Aufsicht im gemeinsamen Währungsraum zuständig wäre.
Und natürlich ist dem französischen Präsidenten klar, dass er mit den Freien Demokraten in einer Berliner Regierungskoalition in diesem Punkt keine großen Sprünge machen kann. Andererseits weiß die FDP, dass sie Macron die Hand reichen muss, um ihm zumindest begrenzte Erfolge zu verschaffen. Denn scheitert er, haben auch die Marktliberalen nicht mehr viel zu verteidigen.
Macron braucht Merkel
Emmanuel Macrons Pariser Rede war schlau aufgebaut. In der Fülle der Reformpläne gehen die eigentlich strittigen Punkte fast unter. Bei einigen Themen wird es Fortschritt geben, bei der Verteidigung, der Grenzsicherung, der Terrorabwehr und so weiter. Macron wird also nicht als Verlierer und mit leeren Händen dastehen, selbst wenn nur ein Teil der Vorschläge die Mühlen der europäischen Politik überlebt.
Will der Präsident also Angela Merkels Führungsrolle übernehmen? Nicht wirklich, denn er weiß, dass er ihre Erfahrung und ihr Talent für praktische Politik, Kompromisse und Lösungen braucht. Ohne die Bundeskanzlerin hat er wenig Chancen - nur gemeinsam können die beiden in Europa noch einigermaßen stark sein.
Andererseits hat Emmanuel Macron etwas, das Merkel fehlt: Er kann Souveränität, Einigkeit und Demokratie in Europa rhetorisch so beschwören, dass Menschen zuhören. Und er greift nach der Deutungshoheit, wenn es darum geht, die Zukunft Europas zu formen.
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