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Politik

Macrons Flucht nach vorne

Porträt eines Mannes mit blauem Sakko und roter Krawatte
Bernd Riegert
5. März 2019

In einem müde anlaufenden Europawahlkampf hat Frankreichs Präsident die Initiative übernommen und verlangt Reformen. Dynamische Wiederbelebungsversuche für die EU sind hochwillkommen, meint Bernd Riegert.

Emmanuel Macron macht gute PR-Arbeit. Wird sie eine echte Debatte auslösen?Bild: Getty Images/AFP/L. Marin

Der französische Präsident Emmanuel Macron verfolgt eine geschickte Kommunikationsstrategie: Mit der zeitgleichen Veröffentlichung seines Aufrufs zur Wiederbelebung Europas in 28 Tageszeitungen bestimmt er jetzt für zwei, drei Tage die europapolitische Debatte. Macrons Visionen sind in aller Munde - zumindest bei den Europäern, die noch Tageszeitungen lesen. Ob er damit die "wütenden" Bürger erreicht, die in Frankreich gelbe Westen tragen und in Großbritannien Brexit-Fahnen schwenken, ist jedoch fraglich.

Aber wenigstens macht er ein Angebot und zeigt ambitionierte Ziele auf, während andere Politiker in Europa lieber abtauchen, wie die deutsche Kanzlerin, oder dumpfen Nationalismus predigen, wie der ungarische Premier oder der italienische Innenminister. Vor dem Hintergrund des chaotischen Versuchs der Briten, die Union zu verlassen, bietet der französische Präsident einen Gegenentwurf, eine Renaissance für das seiner Meinung nach bedrohte Europa.

Teils altbekannt, teils radikal

Die Vorschläge sind teils bekannt, wie etwa ein gemeinschaftlicher Schutz der Außengrenzen, teils radikal, wie die Ausrichtung sämtlicher EU-Politik am Kampf gegen den Klimawandel. Macron fordert gleich eine ganze Reihe von neuen Institutionen: von einer eher unrealistischen Agentur zum Schutz der Demokratie bis hin zu einer Klima-Investitionsbank, die vielleicht Chancen auf Umsetzung hätte. Erst vor 18 Monaten hatte der Franzose eine Grundsatzrede mit einem Katalog von Forderungen gehalten, von denen nur ein kleiner Teil, zum Beispiel das Budget für die Währungsgemeinschaft Euro, mit gebremstem Schaum absehbar verwirklicht werden wird.

Europa-Korrespondent Bernd Riegert

Emmanuel Macron sieht sich selbst in der Rolle des stürmischen Vordenkers. Der zweite Teil des französischen-deutschen Tandems, die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel, hat eher die Rolle der besonnenen Realistin inne, die Visionen auf das Machbare zurückstutzt. Macron, innenpolitisch bedrängt, hat jedoch keine Lust mehr auf Merkel zu warten. Er prescht vor, sie wird zaudernd folgen. Zwar haben die beiden wichtigsten europäischen Politiker erst im Januar im neuen "Vertrag von Aachen" ein gemeinsames Vorgehen auf europäischer Ebene gelobt, doch die praktische Politik sieht immer noch anders aus.

Mit seiner Forderung, europäische Firmen vor amerikanischer und chinesischer Konkurrenz zu schützen, reagiert Macron auf Protektionismus und heraufziehende Handelskriege. Mit seiner Forderung, die Grenzen des Schengen-Raums für Migranten zu schließen und ein restriktives Asylrecht innerhalb der EU zu schaffen, reagiert er auf das Schutzbedürfnis vieler Europäer, das den Rechtspopulisten und Nationalisten Auftrieb verleiht. Er fordert allerdings auch eine Verteilung von Migranten über alle EU-Mitgliedsstaaten, was bei seinen "Lieblingsfeinden" in Ungarn und Italien für einen Aufschrei sorgen dürfte.

Endlich eine Debatte

Der Brief an die Europäerinnen und Europäer drei Wochen vor einem möglichen Brexit und zwölf Wochen vor den Wahlen zum Europäischen Parlament ist natürlich nicht zuletzt der Auftakt zu einem Wahlkampf, den Macron rhetorisch sehr blumig zur Schicksalsfrage stilisiert. Mit seiner Bewegung will dynamische Wahlkämpfer künftig auch das Parlament in Straßburg prägen und hierfür die pro-europäischen Kräfte mobilisieren. Es ist höchste Zeit, dass jemand einen ernsthaftem Wahlkampf zu führen beginnt. Bisher dümpelte die Auseinandersetzung zwischen Populisten und Liberalen nur müde vor sich hin. Jetzt könnte Schwung in die Debatte kommen.

Bereits Ende des Jahres sollen Macrons Reformvorschläge in eine "Europakonferenz" münden. Eine Änderung der EU-Verträge schließt der französische Präsident nicht aus. Das ist wagemutig, denn in Frankreich selbst müsste das Volk über grundlegende Änderungen abstimmen. Getrieben von den protestierenden "gelben Westen" und niedrigen Zustimmungswerten tritt Emmanuel Macron nun also die Flucht nach vorne an. Europa könnte das gut tun.

Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union
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