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Politik

Kommentar: Mazedonische Machtkämpfe

28. April 2017

Die Erstürmung des Parlaments in Skopje ist keine Überraschung. Der Angriff auf die mazedonischen Volksvertreter ist ein lange vorbereiteter Versuch, die Demokratie abzuschaffen, sagt Boris Georgievski.

Bild: picture-alliance/dpa/B. Grdanoski

Der Überfall der Gewalttäter am Donnerstag im mazedonischen Parlament hatte ein einziges Ziel: den Machterhalt des früheren Premierministers Nikola Gruevski und seiner Clique von der nationalistischen Partei VMRO-DPMNE - um jeden Preis. Diese Partei hat zwar knapp die vorgezogenen Parlamentswahlen in Mazedonien im Dezember 2016 gewonnen, doch sie hat es nicht geschafft, eine neue Regierungskoalition zu bilden.

Erfolgreicher als die Nationalisten war die Sozialdemokratische Partei unter der Führung von Zoran Zaev, dem danach die Bildung einer Koalition mit drei albanischen Parteien gelungen ist. Albaner bilden die mit rund 25 Prozent zweitgrößte ethnische Bevölkerungsgruppe im Land. Die albanischen Parteien haben es abgelehnt, mit Gruevski zusammenzuarbeiten - wegen seiner nationalistischen Aussagen und weil er versucht, die Demokratie im Land zu ersticken.

Nachdem sie die Mehrheit im Parlament verloren haben, haben Gruevski und seine Partei entschieden, das Parlament zu blockieren und so die Wahl des Parlamentssprechers sowie die Bildung einer neuen Regierung zu verhindern. Unterstützt wird Gruevski dabei von seinem treuen Anhänger, dem Staatspräsidenten Gjorgje Ivanov.

Boris Georgievski, Leiter der Mazedonischen Redaktion der DW

An der Macht bleiben – um jeden Preis

Nachdem die Abgeordneten der parlamentarischen Mehrheit am Donnerstag entschieden haben, die Blockade des Parlaments zu beenden und einen neuen Parlamentssprecher zu wählen, wurde das Zeichen gegeben – und es kam zu dem Gewaltausbruch.

Hunderte Menschen unter dem direkten Kommando von VMRO-DPMNE haben das Parlamentsgebäude gestürmt. Manche von ihnen streiften sich schwarze Masken über und trugen Feuerwaffen, Messer und Baseballschläger mit sich. Die Polizei, die unter der Kontrolle Gruevskis steht, hat sie nicht nur gewähren lassen, sondern sogar willkommen geheißen. Die Spezialeinheiten sind erst zwei Stunden nach dem Übergriff ins Parlament gekommen.

Hauptziel der Angriffe waren die Abgeordneten der neuen Parlamentsmehrheit, angeführt von den Sozialdemokraten, doch der Gewalt sind auch Journalisten zum Opfer gefallen. Die Bilanz: mehr als 100 Verletzte, darunter drei Abgeordnete der Opposition, die mit schweren Verletzungen ins Krankenhaus mussten.

Gewollte Destabilisierung des Landes

Opfer der Gewalt: Oppositionsführer Zoran ZaevBild: picture-alliance/abaca/N. Batev

Das Verbrechen war weder spontan, noch zufällig – es wurde geplant und organisiert von Gruevski und seiner Partei. Für ihn und seine Clique würde der Verlust der Macht höchstwahrscheinlich mehrjährige Gefängnisstrafen bedeuten. Die vor einigen Jahren auf Druck der EU und der USA gegründete Sonderstaatsanwaltschaft beschuldigt ihn, als Premierminister über die Geheimdienste zehntausende Bürger belauscht zu haben, die Wahlen gefälscht zu haben und tief in die im Land herrschende Korruption verwickelt zu sein.

Um das zu verhindern, versuchen Gruevski und seine Partei bereits seit Monaten einen ethnischen Konflikt zwischen Mazedoniern und Albaner zu provozieren. Sie führen eine gezielte Kampagne gegen die Albaner und alle, die mit ihnen zusammen arbeiten, beschimpfen sie als "Verräter". Das Kalkül ist, dass eine kontrollierte Destabilisierung ein Trumpf in der Hand des früheren Premierministers ist. So soll er als Stabilitätsgarant von der internationalen Gemeinschaft wieder als Verhandlungspartner anerkannt werden, was ihm wiederum die Tür für eine Amnestie für seine eigenen Verfehlungen öffnen würde.

Falsche Politik der EU

Sollte das nicht funktionieren, zeichnet sich ein alternatives Szenario ab: In der Öffentlichkeit wird schon gemunkelt, dass der Staatspräsident Ivanov den Kriegszustand erklären könnte und somit der ohnehin schwachen mazedonischen Demokratie den Todesstoß versetzen könnte.

Die Polizei brauchte zwei Stunden, um die Gewalt im Parlament unter Kontrolle zu bekommenBild: Reuters/O. Teofilovski

Nach dem blutigen Donnerstag ist ein solches Vorhaben Gruevski und Ivanov durchaus zuzutrauen. Eher überraschend wäre dagegen, wenn die EU und ihre führenden Mitglieder wie etwa Deutschland endlich entschlossen reagieren würden und sich an der Seite der Demokratie in Mazedonien stellen würden. Gruevski ist das beste Beispiel für die falsche Balkan-Politik Brüssels. In der instabilen Region unterstützte die EU jahrelang autoritäre Führer statt demokratische Politiker. Frei nach dem Motto: "Stabilität geht vor Demokratie." Dieses Versagen kommt nun wie ein Boomerang zurück und der Preis ist eine Demokratie in Lebensgefahr - und verlorene Stabilität. 

Boris Georgievski Boris Georgievski leitet die mazedonische Redaktion von Deutsche Welle.