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Politik

Medikament ohne Wirkstoff

15. April 2015

Die Bunderegierung plant eine Neuauflage der Vorratsdatenspeicherung. Damit setzt sie auf den aus der Medizin bekannten Placebo-Effekt. Man kann es auch das "Prinzip Hoffnung" nennen, meint Marcel Fürstenau.

Bild: picture-alliance/dpa

Das Bundesverfassungsgericht hat 2010 klargestellt: Die verdachtsunabhängige Speicherung aller Telekommunikationsdaten ist mit den Grundrechten unvereinbar. Damit war das 2008 von Konservativen und Sozialdemokraten in Deutschland beschlossene Gesetz Makulatur. So weit, so gut. Trotzdem vereinbarten die gleichen Parteien Ende 2013 in ihrem Koalitionsvertrag, die Richtlinie der Europäischen Union zur Vorratsdatenspeicherung umzusetzen. Im April 2014 gab es nichts mehr umzusetzen, weil der Europäische Gerichtshof (EuGH) die Richtlinie ebenfalls verwarf. So weit, so gut. Dachte sich auch Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD), der nie ein Freund der Vorratsdatenspeicherung war.

Doch ein Jahr nach dem EuGH-Urteil schickt sich die Bundesregierung an, ein neues Gesetz auf den Weg zu bringen. Und das, obwohl die Europäische Kommission ausdrücklich keine überarbeitete Richtlinie mehr vorlegen will. Die EU-Mitgliedsstaaten haben also freie Hand. Eine verpflichtende Vorgabe aus Brüssel gibt es nicht mehr. Justizminister Maas beugt sich also dem Druck, den andere ausüben: Kanzlerin Angela Merkel, Innenminister Thomas de Maizière (beide CDU), aber auch Wirtschaftsminister und SPD-Chef Sigmar Gabriel sowie etliche sozialdemokratische Innenminister auf Länderebene. Sie alle wollen den durch Terroranschläge wie denen in Paris und Kopenhagen verängstigten Menschen mehr Sicherheit vorgaukeln.

DW-Hauptstadtkorrespondent Marcel FürstenauBild: DW

Terroristen finden Vorratsdatenspeicherung lächerlich

Mit der Vorratsdatenspeicherung wird ihnen das nicht gelingen. Dafür sorgen sie schon selber mit ihrer Begründung für die geplante, massenhafte Datensammlung. Es gehe in erster Linie nicht um die Verhütung von Straftaten und Anschlägen, sagte de Maizière. Vielmehr könne man dafür sorgen, die Täter aufzuspüren und zu verurteilen. Dieses Motiv ist ja keineswegs gering zu schätzen. Aber insbesondere religiös fanatisierte Terroristen werden darüber nur müde lächeln - sie entscheiden sich im Zweifelsfall für Selbstmord-Anschläge und hoffen auf Belohnung im Paradies.

Die wirklich Leidtragenden einer Vorratsdatenspeicherung sind also alle unbescholtenen Bürger. Sie werden unter Generalverdacht gestellt. Und es ist alles andere als Hysterie, wenn Datenschützer in staatlichen Behörden und private Initiativen vor den Gefahren eines Überwachungsstaates warnen. Doch am Ende sind sie machtlos, wenn Politiker aus Überzeugung, aber auch wider besseres Wissen Freiheitsrechte einschränken.

Justizminister Maas ist unglaubwürdig geworden

Innenminister de Maizière glaubt seit jeher an die Wirksamkeit der Vorratsdatenspeicherung, Justizminister Maas tut es jetzt offiziell auch. Er wäre dabei glaubwürdig geblieben, wenn er neue und vor allem überzeugende Argumente vorgelegt hätte. Doch die gibt es nicht. Im Gegenteil: Die Attentäter von Paris waren nachweislich im Fokus der Sicherheitsbehörden. Trotzdem konnten sie ihre tödlichen Anschläge auf das Satire-Magazin "Charlie Hebdo" und einen jüdischen Supermarkt verüben.

Kriminologie-Experten des Max-Planck-Instituts haben sogar in einem Gutachten die fehlende Effizienz der Vorratsdatenspeicherung nachgewiesen. Sie nun trotzdem wieder einführen zu wollen, ähnelt deshalb der Behandlung eines Kranken mit Placebo-Medikamenten. Die haben nachweislich keine Wirkstoffe. Dass sie dennoch heilen können, ist reine Glaubenssache. Anscheinend setzt die Bundesregierung auf eben diesen Placebo-Effekt: Hoffentlich lassen sich Attentäter mit Hilfe der Vorratsdatenspeicherung überführen. Besser noch: Hoffentlich gibt es keine Anschläge.

Marcel Fürstenau Autor und Reporter für Politik & Zeitgeschichte - Schwerpunkt: Deutschland