Merkel muss Macrons Geduld belohnen
Bundeskanzlerin Angela Merkel muss Frankreichs Präsident Emmanuel Macron eine Antwort geben auf seine Zukunftsideen für Europa. Erwartet wird von ihr aber auch eine Reaktion auf Macrons fulminante Europa-Begeisterung. Bislang bleibt Angela Merkel beides schuldig. Damit riskiert sie, eine große Chance zu vergeben. Die Chance, ihre Kanzlerschaft zu krönen mit einem großen deutsch-französischen Europaprojekt.
Dass Merkel Macrons emotionale Begeisterung spiegelt, darauf wird Europa vergeblich warten. Wie auch, bei dieser Vorlage: ein junger Held, der ohne etablierte Partei zur Wahl antritt und gegen die dunkle Macht des Nationalismus auf eine totgesagte EU setzt, der nach dem Sieg vor sein Volk tritt und zu den Klängen der Europahymne etwas Großes, Neues, Wunderbares verspricht. Wollte Angela Merkel hierauf antworten, sie müsste vor ein blau-gelb erleuchtetes Brandenburger Tor treten und der EU-Fahnen schwenkenden Jugend zurufen: "Europa ist unsere Chance, unsere Zukunft, unser Glück!" Darauf kann man lange warten.
Dieses Pathos ist Angela Merkels Sache nicht und nach zwölf Jahren an der Macht kann sie einen solchen Aufbruch auch nicht glaubhaft vermitteln. Sie weiß um diese Defizite und überlässt daher dem charismatischen Macron gerne den überschwänglichen Teil der EU-Erneuerung. In ihrer Karlspreis-Laudatio auf den Freund Emmanuel erkennt sie deshalb an: Europa braucht Macrons Leidenschaft, seine Begeisterungsfähigkeit, seine Inspiration. Aber einen EU-Finanzminister, eine EU-Bankensicherung, europäische Finanztransfers? "Unbedingt!" antwortet Merkel darauf bislang nicht.
Merkel muss Populisten offensiv begegnen
Wenn Angela Merkel ihre Ideen zur Zukunft Europas formuliert, bleibt sie auf sicherem Terrain: Sie will Migration nach Europa effizienter steuern, für Sicherheit in Europa sorgen, auf der Weltbühne als europäische Macht auftreten. Bei diesen Punkten weiß sie nicht nur Macron, sondern auch eine Mehrheit in der EU und im eigenen Land hinter sich. 82 Prozent der Deutschen finden es gut, dass der Franzose mit seinen Ideen die EU voranbringen will. Macrons Vorschläge für eine engere EU-Finanzpolitik gehen aber schon 48 Prozent der Deutschen zu weit, so der jüngste ARD-Deutschlandtrend.
Es ist die alte Sorge der Deutschen, ihr sauer verdientes Geld könnte in Rom, Madrid oder Athen verjubelt werden. Natürlich kennt Angela Merkel diese Vorbehalte gegen finanziellen Ausgleich in Europa - nicht zuletzt aus ihrer eigenen Partei. Teile der CDU/CSU ebenso wie die Rechtspopulisten haben die Transferleistungen innerhalb der EU zur angeblichen "Transferunion" umgedeutet. Merkel sollte ihnen offensiv begegnen, den Kampfbegriff auseinandernehmen und erklären, wie die Transfers seit Jahren wirklich verlaufen.
Macron-Merkel müssen gemeinsam mutige Schritte gehen
Denn der Exportweltmeister Deutschland hat dank der EU nicht mehr mit lästigen Zöllen, schwankenden Wechselkursen und Grenzstaus in Europa zu kämpfen. Deutschland ist auch dank der EU wirtschaftlich so erfolgreich und profitiert von Wachstum und Stabilität im Rest der EU. Dafür sollte sich Deutschland einsetzen - oder wie es der deutsche EU-Kommissar Günther Oettinger formuliert: "Man kann nicht nur S-Klasse exportieren und ansonsten sagen: Mich geht Europa nichts an." Der konservative Schwabe ist da ganz bei Emmanuel Macron, der diese Woche im DW-Interview die Deutschen dazu aufrief, das Tabu finanzieller Transfers in der EU zu überwinden. Angela Merkel könnte einen großen Schritt zu einem solidarischeren, krisenfesteren Europa machen. Wann, wenn nicht jetzt?
Die Bundeskanzlerin hat mit ihrer Flüchtlings- und Sparpolitik der EU viel zugemutet. Jetzt hat sie die Chance, mit Emmanuel Macrons Hilfe doch noch eine große Europäerin zu werden - eine großzügige Macherin, die an der Seite des charismatischen Visionärs Europa in eine erfolgreiche Zukunft führt. Macron-Merkel könnte einmal klingen wie Adenauer-de Gaulle oder Kohl-Mitterand. Die Deutsche lässt den Franzosen und ganz Europa wohl noch bis zum EU-Gipfel im Juni warten. Dann muss sie die richtige Antwort geben - für sich, ihr Land und die EU.
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