Kommentar: Merkels neue Russlandpolitik
16. November 2012 Es war mit Spannung erwartet worden, das Treffen von Bundeskanzlerin Angela Merkel mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin im Rahmen der deutsch-russischen Regierungskonsultationen in Moskau. Denn die deutsch-russischen Beziehungen schienen so schlecht wie lange nicht mehr, nachdem eine Putin-kritische Resolution des Deutschen Bundestages vor einer Woche in Russland für viel Wirbel gesorgt hatte.
Die von den deutschen Regierungsparteien CDU/CSU und FDP und den oppositionellen Grünen getragene Resolution übt heftige Kritik an der innenpolitischen Entwicklung in Russland und am Umgang der Staatsmacht mit ihren innerrussischen Kritikern. Dies wollte sich die Kreml-Elite nicht gefallen lassen und wies die Kritik in heftigster Form zurück. Das russische Außenministerium erklärte sogar, dass es mit dem Verfasser der Resolution Andreas Schockenhoff nicht mehr offiziell reden will - obwohl Schockenhoff nicht nur Beauftragter der deutschen Bundesregierung ist für den zivilgesellschaftlichen Dialog mit Russland, sondern auch stellvertretender Fraktionsvorsitzender von Merkels CDU/CSU.
Ein schweres Gewitter in den deutsch-russischen Beziehungen kündigte sich durch derlei Donnergrollen also an. Doch dazu ist es nicht gekommen.
Merkel zeigt Gelassenheit
Schon vor den eigentlichen Regierungskonsultationen gab Bundeskanzlerin Merkel beim gemeinsamen Auftritt mit Wladimir Putin vor den deutschen und russischen Teilnehmern des Petersburger Dialogs zu verstehen, dass sie die in der Bundestagsresolution geäußerte Kritik im Grunde teilt, aber die Beziehungen mit Russland nicht verschlechtern möchte.
Ruhig und souverän erklärte sie einfach, dass gegenseitige Kritik in der Politik normal sei. Und auch Präsident Putin hatte kein Interesse die Situation zu verschärfen. Stattdessen lobte er die bilateralen - vor allem wirtschaftlichen - Erfolge und Vorteile und widersprach heftig dem Eindruck einer missmutigen Atmosphäre in den deutsch-russischen Beziehungen. Da schien plötzlich die ganze Aufregung um die Bundestagsresolution wie ein Sturm im Wasserglas.
Also, alles beim Alten? Nein, dieser Schluss greift zu kurz.
Konturen der neuen deutschen Russlandpolitik
Die Putin-kritische Bundestagsresolution wirkt vielmehr wie ein wichtiger Schritt in Merkels Russlandpolitik. Zumal es in Berliner Kreisen heißt, dass das Bundeskanzleramt frühzeitig in die Abfassung der Resolution eingebunden war und sie mitgetragen hat. Die Absicht war, sich von der Russland-Politik der vergangenen Jahre und den Hoffnungen der Medwedew-Präsidentschaft von 2008 bis 2012 zu lösen. Von einer baldigen umfassenden Modernisierung Russlands scheint die jetzige Bundesregierung unter Angela Merkel nicht mehr auszugehen.
Innen- und außenpolitisch hat nun Kanzlerin Merkel deutlich gemacht, was sie von der Rückkehr Putins in das russische Präsidentenamt hält. Sie hat es getan, ohne sich eine geschäftsmässige und pragmatische Außenpolitik mit Putins Russland zu verbauen, mit dem es ja auch in vielen globalen Fragen zusammenzuarbeiten gilt.
Frei von der pompösen Last einer "Modernisierungspartnerschaft" oder "strategischen Partnerschaft" kann Merkel nun eine neue Russlandpolitik betreiben, die es ihr im bilateralen Bereich ermöglicht, die guten und für beide Seiten vorteilhaften Wirtschaftsbeziehungen weiter voranzutreiben. Nicht zufällig wurde in Anwesenheit von Merkel und Putin im Rahmen der Regierungskonsultationen erneut eine Reihe von Wirtschaftsabkommen zwischen russischen und deutschen Unternehmen unterzeichnet.
Zugleich geht Merkel politisch auf Distanz zu Präsident Putin und legt die Rolle Deutschlands als Anwalt Russlands in Europa endgültig ab. Ein Beleg dafür ist, dass gerade die deutsche Regierung Bedenken gegen eine schnelle Visafreiheit für Russen hat und stattdessen nur auf Erleichterungen setzt. Dies ist sicherlich eine Enttäuschung für Präsident Putin, der das Thema Visafreiheit für Russen im Schengenraum zu einem wichtigen Thema seiner Außenpolitik gemacht hat.
Normalität statt Verschlechterung
Mit der kleinen, aber feinen Korrektur in Merkels Politik kann anderseits Präsident Putin durchaus gut leben, denn die leichte Veränderung in der deutschen Russlandpolitik gefährdet nicht sein proklamiertes Kernziel: die technologische und wirtschaftliche Modernisierung Russlands mit deutschem Know-how. Es wäre daher falsch, den politischen Beziehungen zwischen Berlin und Moskau eine "Verschlechterung" zu attestieren. Vielmehr haben sich beide Seiten an die neue Realität einer dritten Präsidentschaft Putins angepasst. Eine neue Normalität in den deutsch-russischen Beziehungen hat begonnen.